Über die Volkssprache (De vulgari eloquentia.)

Über die
Volkssprache.

(De vulgari eloquentia.)

Vorwort von
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De vulgari eloquentia oder De
vulgari eloquio
(lat: Über die Redegewandtheit in der
Volkssprache) ist ein Werk des italienischen Dichters Dante
Alighieri
und entstand zwischen 1303 und 1305. Es sollte aus vier
Büchern bestehen, bricht aber mitten im vierzehnten Kapitel des
zweiten Buches ab. (No se continúa a partir del 14 capítulo del
segundo libro
)

De vulgari eloquentia
beschäftigt sich vor allem mit den neolatinischen Sprachen.
Da Dante sich damit nicht nur an die italienischen,
sondern alle europäischen Gelehrten wandte, verfasste er das Buch in
Latein.

Am Anfang beschäftigt sich der Autor
mit der Herkunft der Sprache, danach analysiert er die Sprachen
seiner Zeit: Die gesprochenen Sprachen unterteilt er dabei in
die lingua d’oc (gesprochen in Südfrankreich), die
lingua d’oil (gesprochen in Nordfrankreich) und die lingua
del (Vorgänger des Italienischen). Die lingua
del
teilt Dante in 14 Dialekt-Gruppen ein; seiner
Meinung eignete sich jedoch keiner dieser zum Schreiben und Dichten,
weil sie untereinander zu unterschiedlich seien. Dafür fehle es an
einem politischen Zentrum, das die Bildung eines einheitlichen
volgare, einer einheitlichen Sprache, ermöglicht.
Anschließend untersucht Dante die Dichtstile seiner Zeit. Er
unterscheidet dabei zwei Typen: den stile comico, der sich ans
gemeine Volk wendet, und den stile umile für ein gehobeneres
Publikum.

Da Dantes Buch mitten im 14. Kapitel
des II. Buches abbricht, wurde das betroffene Kapitel von Kannegießer
nicht veröffentlicht. Um eine möglichst vollständige Wiedergabe
des Werkes zur Verfügung zu stellen, bietet Wikisource das 14.
Kapitel (in Latein) aus der italienisch-lateinischen Edition von P.
J. Fraticelli
aus dem Jahr 1857 an.

Über die
Volkssprache.
(De vulgari eloquio.)

Erstes Buch.


Erstes Kapitel. Was die
Volkssprache sei, und wie sie sich von der Grammatik unterscheide.

Zweites Kapitel. Daß der Mensch allein
den Austausch der Rede hat.

Drittes Kapitel. Daß für den Menschen
der Austausch der Rede nothwendig war

Viertes Kapitel. Welchem Menschen
zuerst Sprache gegeben wurde, was er zuerst sprach, und in welcher
Sprache.

Fünftes Kapitel. Wo und zu wem der
Mensch zuerst gesprochen habe.

Sechstes Kapitel. In welcher Mundart
der Mensch zuerst geredet habe, und woher er der Urheber dieses
Werkes gewesen.

Siebentes Kapitel. Von der Theilung der
Rede in mehrere Sprachen.

Achtes Kapitel. Vertheilung der Mundart
über die Welt und besonders in Europa.

Neuntes Kapitel. Von der dreifachen
Verschiedenheit der Rede, und auf welche Weise mit den Zeiten
dieselbe Mundart verändert wird, und von der Erfindung der
Grammatik.

Zehntes Kapitel. Von der
Verschiedenheit der Mundart in Italien auf der rechten und linken
Seite der Apenninen.

Elftes Kapitel. Es wird gezeigt, daß
Einige in Italien eine häßliche und schmucklose Sprache haben.

Zwölftes Kapitel. Von der sicilischen
und apulischen Mundart.

Dreizehntes Kapitel. Von der Mundart
der Tuscier und Genueser.

Vierzehntes Kapitel. Von der Mundart
der Romagna, und von einigen transpadanischen und besonders von der
venetianischen.

Fünfzehntes Kapitel. Läßt sich weit
aus über die bolognesische Mundart.

Sechszehntes Kapitel. Daß in jeder
Mundart etwas Schönes sei, und in keiner alles Schöne.

Siebzehntes Kapitel. Warum diese
Mundart die erlauchte genannt wird; auch wird Cino von Pistoja
erwähnt.

Achtzehntes Kapitel. Warum diese
Mundart Angel-, Hof- und Rechtssprache genannt werde.

Neunzehntes Kapitel. Daß die
italischen Mundarten auf eine zurückgeführt werden, und daß diese
die lateinische genannt wird.

Zweites Buch.


Erstes Kapitel. Wem es zukomme,
sich der gebildeten und geschmückten Volkssprache zu bedienen, und
wem es nicht zukomme.

Zweites Kapitel. In welchem Stoffe sich
die geschmückte Volksberedsamkeit gezieme.

Drittes Kapitel. Es unterscheidet, in
welchen Weisen die in der Volkssprache Versemachenden dichten.

Viertes Kapitel. Von der Weise der
Kanzonen und von der Schreibart Derjenigen, welche Gedichte machen.

Fünftes Kapitel. Von der Abfassung der
Verse und deren Mannichfaltigkeit vermöge der Sylben.

Sechstes Kapitel. Von der
Satzverbindung oder von der regelmäßigen Verknüpfung der Wörter,
deren man sich in den Kanzonen zu bedienen hat.

Siebentes Kapitel. Welche Wörter zu
gebrauchen sind, und welche im Versmaß der Volkssprache nicht
vorkommen dürfen.

Achtes Kapitel. Was eine Kanzone sei,
und daß sie in mehreren Weisen sich abändert.

Neuntes Kapitel. Welches die
Haupttheile der Kanzone sind, und daß die Stanze der Haupttheil der
Kanzone ist.

Zehntes Kapitel. Was der Gesang der
Stanze sei, und daß die Stanze sich in mehreren Weisen verändert in
der Kanzone.

Elftes Kapitel. Von der Beschaffenheit
der Stanze, von der Zahl der Füße und von der Verschiedenheit der
Verse, welche in der Zusammensetzung zu gebrauchen sind.

Zwölftes Kapitel. Aus welchen Versen
die Stanzen bestehen, und von der Anzahl der Sylben in den Versen.

Dreizehntes Kapitel. Von dem Verhältniß
der Reime, und in welcher Ordnung sie in der Stanze zu stellen sind.

Vierzehntes Kapitel.

De numero carminum et syllabarum in
Stantia. [Buch abgebrochen]

Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Was die Volkssprache sei, und wie sie
sich von der Grammatik unterscheide.

Da wir finden, daß Niemand vor uns die
Lehre von der Volksberedsamkeit behandelt habe, und wir sehen, daß
eine solche Beredsamkeit Allen durchaus nöthig sei, da ihr nicht
blos Männer, sondern auch Frauen und kleine Kinder nachstreben,
soweit die Natur es erlaubt, indem wir den Verstand Derer
einigermaßen aufklären wollen, welche wie blind durch die Straßen
wandeln, meistens das Hintere für das Vordere haltend, werden wir,
mit vom Himmel günstig hauchendem Worte, der Rede der Völker zu
nützen versuchen, nicht blos das Wasser unsers Geistes für einen
solchen Trunk schöpfend, sondern durch Empfang oder Auswahl von
Andern, das Bessere mischend, um daraus den süßesten
Honigwassertrank bereiten zu können. Aber weil man nicht jede Lehre
billigen, sondern seinen Gegenstand erschließen muß, damit man
wisse, was es sei, womit er sich beschäftigt, sagen wir schnell
aufmerkend, daß wir die Volkssprache diejenige nennen, an welche
sich die Kinder durch ihre Umgebung gewöhnen, sobald sie anfangen,
die Stimmen zu unterscheiden, oder mit kürzerem Ausdruck,
Volkssprache, behaupten wir, sei diejenige, welche wir ohne alle
Regel der Amme nachahmend lernen. Wir haben sodann eine andere zweite
Rede, welche die Römer Grammatik genannt haben. Diese zweite haben
nun die Griechen und Andere, aber nicht Alle; zum Gebrauch derselben
aber gelangen nur Wenige, weil wir nur in geraumer Zeit und durch
anhaltenden Eifer Regeln und Lehre derselben fassen. Von diesen
beiden ist die Volkssprache die edlere, theils, weil sie zuerst von
dem menschlichen Geschlechte gebraucht wurde, theils, weil der ganze
Erdkreis sich derselben erfreut, obgleich sie in verschiedene
Ausdrücke und Wörter sich getheilt hat, theils weil sie uns
natürlich ist, während jene vielmehr künstlich vorhanden ist; und
von dieser edleren ist unsere Absicht zu handeln.


Zweites Kapitel.


Daß der Mensch allein den Austausch
der Rede hat.

Diese ist unsere erste wahre Sprache,
ich sage aber nicht unsere, als ob es noch eine andere gäbe als die
des Menschen: denn von Allen, die vorhanden sind, ist dem Menschen
allein das Sprechen verliehen, weil es ihm allein nothwendig war.
Nicht den Engeln, nicht den niedern Geschöpfen war es nothwendig,
sondern unnütz wäre es ihnen verliehen worden, was denn die Natur
zu thun verschmäht. Denn wenn wir genau zusehen, was wir
beabsichtigen, wenn wir sprechen, so leuchtet ein, nichts Anderes,
als die Vorstellung unsers Geistes Andern kund zu machen. Da nun die
Engel zur Eröffnung ihrer glorreichen Vorstellungen die bereiteste
und unaussprechliche Genüge des Verstandes haben, wodurch sowol
einer dem andern sich an sich völlig kund gibt, als auch wenigstens
durch jenen glänzendsten Spiegel, in welchem alle auf das schönste
sich darstellen und sich aufs begierigste schauen, scheinen sie
keines Zeichens der Rede bedurft zu haben. Und wenn rücksichtlich
der Geister ein Einwurf gemacht würde, welche fielen, kann auf
doppelte Weise geantwortet werden. Zuerst, daß, wenn wir von Dem
handeln, was zum Wohlbefinden nöthig ist, wir Diejenigen übergehen
dürfen, welche als Verderbte die göttliche Sorge nicht haben
erwarten wollen. Oder zweitens, und besser, daß selbst die Dämonen,
um ihre Treulosikeit unter einander kund zu thun, nicht zu wissen
bedürfen, als wer, von wem, warum und wie groß er ist, was sie ja
wissen; denn sie haben vor dem Sturz einander kennen gelernt. Auch
für die niederen Geschöpfe, da sie blos von dem Naturtriebe
geleitet werden, brauchte nicht an Rede gedacht zu werden, denn alle
von derselben Art haben dieselben Thätigkeiten und Zustände und
können so durch die eigenen die fremden kennen lernen. Unter denen
aber, welche von verschiedenen Arten sind, war die Sprache nicht
allein nicht nöthig, sondern sie wäre durchaus schädlich gewesen,
da kein freundlicher Verkehr bei ihnen gewesen wäre. Und wenn ein
Einwurf hergenommen würde von der zu dem ersten Weibe sprechenden
Schlange oder von dem Esel des Bileam, daß sie gesprochen haben, so
antworten wir hierauf, daß der Engel in diesem und der Teufel in
jener so wirkten, daß die Thiere selbst ihre Werkzeuge bewegten, daß
daraus eine bestimmte Sprache erfolgte wie eine wahre Rede, nicht als
ob das der Eselin etwas Anderes gewesen wäre als ein Schreien, oder
das der Schlange als ein Zischen. Wenn aber Jemand einen Schluß
dagegen machte nach Dem, was Ovid sagt im fünften Buch der
Metamorphosen von den sprechenden Spechten, so sagen wir, daß er
dies figürlich sagt, Anderes darunter denkend. Und wenn gesagt wird,
daß Spechte und andere Vögel annoch sprechen, so sagen wir, daß
dies falsch ist, weil eine solche Aeußerung nicht ein Sprechen ist,
sondern eine Art von Nachahmung des Tons unserer Stimme, oder daß
sie streben uns nachzuahmen, insofern wir Töne von uns geben, aber
nicht insofern wir sprechen. Daher wenn einem deutlich Sprechenden
ein Specht dies zurückschallen ließe, so wäre dies nur eine
Nachbildnug oder Nachahmung des Tones Dessen, der zuerst gesprochen
hätte. Und so leuchtet ein, daß dem Menschen allein das Sprechen
gegeben worden sei. Aber warum es ihm nothwendig war, wollen wir
kürzlich abzuhandeln versuchen.


Siehe das Gastmahl, dritte Abhandlung,
siebentes Kapitel.


Drittes Kapitel.


Daß für den Menschen der Austausch
der Rede nothwendig war.

Da nun der Mensch nicht durch den
Naturtrieb, sondern durch die Vernunft bewegt wird und die Vernunft
selbst theils in dem Unterscheidungsvermögen, theils im Urtheil,
theils in der Wahl bei den Einzelnen abweichend ist, sodaß fast
jeder sich seiner eigenen Art zu erfreuen scheint, sind wir der
Meinung, daß an den eigenen Thätigkeiten oder Zuständen Niemand
gleich dem vernunftlosen Thiere den Andern verstehe; noch geschieht
es auch, daß gleich dem Engel durch geistige Anschauung Einer in den
Andern eingehe, da durch die Grobheit und Dichtigkeit des sterblichen
Körpers der menschliche Geist gehalten wird. Es mußte also das
menschliche Geschlecht zur Mittheilung seiner Vorstellungen
untereinander ein vernünftiges Zeichen und ein sinnliches haben,
weil, wenn etwas da war von der Vernunft anzunehmen und der Vernunft
zu übergeben, es vernünftig sein mußte, wenn aber von einer
Vernunft zur andern nichts übertragen werden konnte als durch ein
sinnliches Mittel, es sinnlich sein mußte; weil, wenn es blos
vernünftig war, es nicht übergehen konnte, wenn aber blos sinnlich,
es weder von der Vernunft etwas annehmen, noch bei der Vernunft hätte
niederlegen können. Dies ist nun ein Zeichen, daß eben der
Gegenstand, von welchem wir sprechen, edel ist, daß er von Natur
zwar sinnlich sei, soweit er Ton ist, vernünftig aber, sofern er
etwas zu bedeuten scheint nach Gefallen.


Viertes Kapitel.


Welchem Menschen zuerst Sprache gegeben
wurde, was er zuerst sprach, und in welcher Sprache.

Den Menschen allein ward es verliehen
zu sprechen, wie aus dem Vorhergehenden einleuchtet. Nun muß auch,
glaube ich, untersucht werden, welchem Menschen zuerst die Sprache
gegeben sei, und was er zuerst gesprochen habe, und an wen, und wo,
und wann, desgleichen in welcher Mundart sich das erste Sprechen
ergoß. Nach Dem, was im Anfange des ersten Buches Mosis gelesen
wird, wo die heilige Schrift von dem Uranfange er Welt handelt,
findet man, daß die Frau vor Allen gesprochen habe, nämlich jene
höchst vorwitzige Eva, als sie dem Teufel auf seine Frage
antwortete: Die Frucht der Bäume, welche im Paradiese sind, essen
wir; aber die Frucht des Baumes, der mitten im Paradiese ist, verbot
uns Gott zu essen oder ihn zu berühren, damit wir nicht etwa
stürben. Aber obgleich die Frau in der Schrift früher gesprochen zu
haben befunden wird, ist es dennoch wahrscheinlich, daß wir glauben,
der Mann habe früher gesprochen; und nicht unangemessen glaubt man,
daß eine so treffliche Aeußerung des menschlichen Geschlechtes eher
vom Mann als von der Frau ausgegangen sei. Vernünftigerweise glauben
wir nun, daß dem Adam früher zu sprechen verliehen sei von Dem, der
ihn sofort selbst gebildet hatte. Was aber zuerst die Stimme des
zuerst Sprechenden von sich gegeben habe, zweifle ich nicht, das
jedem verständigen Menschen klar sei, es sei Das gewesen, was Gott
bedeutet, nämlich Eli, sei es nun in Frageweise oder in
Antwortsweise. Abgeschmackt und der Vernunft schauderhaft scheint es,
daß früher als Gott etwas von dem Menschen genannt sei, da der
Mensch von ihm und durch ihn gemacht ist. Denn wie nach dem Falle des
menschlichen Geschlechtes Jeder den Anfang seiner Rede anhebt mit
Ach, so ist es wahrscheinlich, daß Derjenige, welcher vorher da war,
sie mit Freude begann, und da keine Freude außerhalb Gott ist,
sondern ganz in Gott, und Gott selbst ganze Freude ist, so folgt, daß
der zuerst Sprechende zuerst und vor Allem gesagt habe: Gott. Es
entsteht auch hier dies Bedenken: wenn wir oben sagen, daß der
Mensch antwortweise zuerst gesprochen habe, so war die Antwort, wenn
es eine solche war, an Gott; denn, wenn sie an Gott war, so möchte
es wol scheinen, daß Gott schon gesprochen habe, was dem vorher
Angedeuteten zuwider zu sein scheint. Hierauf sagen wir, daß wol auf
Gottes Frage geantwortet werden konnte, ohne daß doch Gott die
Sprache selbst, welche wir meinen, gesprochen habe. Denn wer
zweifelt, daß Alles, was nur ist, sich nach Gottes Wink beuge, von
welchem Alles gemacht und erhalten und auch regiert ist. Wenn daher
die Luft in solche Bewegungen gesetzt wird durch die Gewalt der
niederen Natur, welche die Dienerin und Vollstreckerin Gottes ist,
daß sie Donner erschallen, Blitze leuchten, Wasser seufzen heißt,
Schnee ausschüttet, Hagel schleudert, wird sie nicht auch durch den
Befehl Gottes bewegt werden, einige Worte ertönen zu lassen, indem
Der sie sondert, der Größeres gesondert hat? Warum nicht? Daher
glauben wir, daß hiefür und für einiges Andere dies genüge.


Fünftes Kapitel.


Wo und zu wem der Mensch zuerst
gesprochen habe.

Indem wir nun nicht ohne aus dem
Frühern wie aus dem Späteren genommenen Grund glauben, daß an Gott
selbst ursprünglich der Mensch die Rede gerichtet habe, sagen wir
vernünftigerweise, daß er, welcher zuerst sprach, bald, nachdem er
von belebender Kraft angehaucht wurde, ununterbrochen gesprochen
habe. Denn wir halten es am Menschen für menschlicher, daß er
empfunden werde, als daß er empfinde, sofern er nur empfunden wird
und empfindet als Mensch. Wenn also jener Werkmeister und Urquell und
Liebhaber der Vollkommenheit durch seinen Hauch den ersten Menschen
mit aller Vollkommenheit erfüllte, so erscheint es uns vernünftig,
daß das volkommenste Geschöpf nicht eher angefangen habe zu fühlen
als gefühlt zu werden. Wenn aber Jemand dagegen mit dem Einwand
auftritt, daß er nicht zu reden hatte, da er noch der einzige Mensch
war, und Gott alle Geheimnisse ohne Worte erkennt, selbst vor uns, so
sagen wir mit jener Ehrerbietung, deren man sich zu bedienen hat,
wenn wir über den ewigen Willen irgend urtheilen, daß, obgleich
Gott wußte, ja vorauswußte (was bei Gott eins und dasselbe ist)
ohne Rede die Vorstellung des ersten Redenden, er dennoch wollte, daß
er rede, damit an der Aeußerung einer so großen Gabe er selbst sein
Freude habe, der sie freiwillig geschenkt hatte. Daher ist es als
etwas von Gott Verliehenes zu betrachten, daß wir über die
geordnete Thätigkeit unserer Gemüthsbewegungen uns freuen: und
daher können wir zweifelsohne den Ort bestimmen, wo die erste Rede
ans Licht gekommen ist, insofern wir, daß, wenn der Mensch außerhalb
des Paradieses angehaucht wurde, außerhalb, wenn aber innerhalb, der
Ort der ersten Rede innerhalb gewesen sei, bewiesen haben.


Sechstes Kapitel.


In welcher Mundart der Mensch zuerst
geredet habe, und woher er der Urheber dieses Werkes gewesen.

Weil das menschliche Geschäft in sehr
vielen und verschiedenen Mundarten geübt wird, sodaß Viele von
Vielen nicht anders verstanden werden durch Worte als ohne Worte,
ziemt es sich, die Mundart aufzusuchen, deren man glaubt, daß sich
der Mann ohne Mutter, der Mann ohne Muttermilch, der werde die Zeit
der Kindheit noch die Jünglingszeit sah, bedient habe. In diesem
Punkte, wie auch in vielen andern, ist die Stadt Petramala die
weitläufigste und das Vaterland des größten Theils der Kinder
Adam’s. Denn wer immer von so misgestalteter Vernunft ist, daß er
den Ort seiner Nation für den köstlichsten hält unter der Sonne,
dem ist es auch erlaubt, allen seine Volkssprache, das heißt,
Muttersprache, vorzuziehen, und folglich sie für diejenige zu
halten, welche Adam hatte. Wir aber, denen die Welt Vaterland ist,
wie den Fischen das Meer, obgleich wir den Sarno tranken vor dem
Zahnen, und Florenz so lieben, daß weil wir es lieben, wir die
Verbannung leiden ungerechterweise, stützen die Schultern unsers
Urtheils mehr an der Vernunft als am Gefühl, und obwol für unser
Vergnügen oder für die Ruhe unserer Sinnlichkeit kein lieblicherer
Ort auf Erden sich findet als Florenz, aufschlagend die Rollen der
Dichter und anderer Schriftsteller, in welchen die Welt im
Allgemeinen und theilweise beschrieben wird, und bei uns erwägend
die mannichfaltigen Lagen der Orte in der Welt, und ihre
Beschaffenheit an beiden Polen und an dem Aequator, bedenken, daß es
viele gibt, und glauben fest, auch edlere und vergnüglichere als
Thuscien und Florenz, wo ich geboren und dessen Bürger ich bin, und
daß manche Nationen und Völker sich einer lieblicheren und
tauglicheren Sprache bedienen als die Lateiner. Zurückkehrend also
zu unserem Vorhaben sagen wir, daß eine gewisse Form der Sprache von
Gott mit der ersten Seele miterschaffen sei, ich sage aber Form,
sowol mit Hinsicht auf die Worte für die Dinge, als auf den Bau der
Worte und auf die Erweiterung des Satzbaues, welche Form jede Sprache
der Sprechenden haben würde, wenn sie nicht durch Schuld
menschlicher Vermessenheit zerstört wäre, wie weiter unten gezeigt
werden wird. In dieser Form der Sprache sprach Adam, in dieser Form
der Sprache sprachen alle seine Nachkommen bis auf den Thurmbau zu
Babel, den man für den Thurm der Verwirrung erklärt: diese Form der
Sprache erbten die Söhne Heber’s, welche von ihm Hebräer genannt
wurden. Ihnen allein verblieb sie nach der Verwirrung, damit unser
Heiland, der unter jenen geboren werden sollte, nach seiner
Menschheit nicht der Sprache der Verwirrung, sondern der der Gnade
sich erfreute. So war denn die hebräische Mundart diejenige, welche
die Lippen des ersten Sprechenden bildeten.


Siebentes Kapitel.


Von der Theilung der Rede in mehrere
Sprachen.

Jetzt, ach! vergehe ich vor Scham, die
Schmach des menschlichen Geschlechtes zu erneuern; aber da ich es
nicht umgehen kann, meinen Weg durch sie hindurch zu nehmen (obwol
mir die Röthe ins Gesicht steigt und mein Geist zurückbebt), so
will ich sie durcheilen. O über unsere zu Fehltritten geneigte und
von Anfang und nie ablassende sündige Natur! War es nicht genug
gewesen zu deiner Verderbniß, daß du wegen deiner Uebertretung der
Wonnen beraubt fern von der Heimat im Bann lebtest? War es nicht
genug, wegen der allgemeinen Schwelgerei deiner Familie und ihres
Trotzes, mit Ausnahme einer einzigen, welche gerettet wurde, daß
Alles, was dein war, in der Sündflut unterging, und die Strafe für
das Unheil, das du begingest, die Geschöpfe des Himmels und der Erde
schon gebüßt hatten? Wahrlich genug war es gewesen; aber wie es im
Sprichwort heißt: Nicht vor der dritten Stunde wirst du reiten; aber
du wolltest lieber elend ein elendes Pferd besteigen. Siehe da,
Leser, daß der Mensch, entweder uneingedenk oder geringachtend die
früheren Lehren und abwendend die Augen von den Striemen, welche
zurückgeblieben waren, zum drittenmal sich auflehnte gegen die
Geißelhiebe, aus Stolz der Thorheit sich vermessend. Und so vermaß
sich in seinem Herzen der heillose Mensch von dem Riesen überredet
durch seine Kunst nicht blos die Schöpfung zu übertreffen, sondern
auch den Schaffenden, welcher Gott ist, und begann einen Thurm in
Sennaar zu erbauen, der nachher Babel genannt worden ist, das heißt,
die Verwirrung, durch welchen er den Himmel zu ersteigen hoffte,
trachtend in seiner Thorheit seinem Schöpfer nicht gleichzukommen,
sondern ihn zu überwinden. O maßlose Langmuth der himmlischen
Herrschaft! Welcher Vater, vom Sohne beleidigt, würde so viel
ertragen? Aber sich aufrichtend, züchtigte er, nicht mit
feindseliger, sondern mit väterlicher, sonst schon der Streiche
gewohnter Ruthe den aufrührerischen Sohn mit mitleidiger und
zugleich unvergeßlicher Zurechtweisung. Hatte sich doch fast das
ganze menschliche Geschlecht zum gottlosen Werke vereinigt, Einige
befahlen, Andere waren Baumeister, Andere gründeten Mauern, Andere
verkütteten sie mit Blei, Andere zogen Seile, Andere sprengten
Steine, Andere führten sie zu Wasser, Andere zu Lande herbei, und so
widmeten sie sich Verschiedene verschiedenen Geschäften, als sie vom
Himmel herab mit solcher Verwirrung geschlagen wurden, daß, die Alle
mit einer und derselben Sprache dem Werke dienten, in viele Sprachen
zertheilt von dem Werke abstanden und niemals zu demselben Verkehr
zusammenkamen. Denn Denen alein, die in Einer Thätigkeit sich
vereinigten, blieb dieselbe Sprache, zum Beispiel allen Baumeistern
eine, allen Zusammenführern von Steinen eine, Allen, die dieselben
zubereiteten, eine; und so geschah es bei den einzelnen Arbeitern;
soviel aber mannigfaltige Geschäfte bei dem Werke thätig waren, in
so viel Sprachen wurde damals das menschliche Geschlecht zertheilt.
Und je vortrefflicher die Arbeit, desto rauher und barbarischer war
nun die Sprache; Diejenigen aber, denen eine heiligere Mundart blieb,
die waren weder gegenwärtig, noch lobten sie die Beschäftigung,
sondern mit heftigem Tadel verspotteten sie die Thorheit der
Arbeitenden. Aber dies war der Zahl nach der geringste Theil vom
Samen Sem, wie ich vermuthe, welcher der dritte Sohn Noah’s war,
von welchem das Volk Israel entsprungen ist, die sich der ältesten
Sprache bedienten bis auf ihre Zerstreuung.


Achtes Kapitel.


Vertheilung der Mundart über die Welt
und besonders in Europa.

Nach der zuvor erwähnten Verwirrung
der Sprachen urtheilen wir ohne Leichtsinn, daß die Menschen die
verschiedenen Himmelsstriche und Gegenden und Winkel derselben zu
bewohnen erst damals zerstreut wurden. Und da die Wurzel des
Menschenstammes vornehmlich in den östlichen Gegenden gepflanzt
wurde, verbreitete sich von da nach beiden Seiten hin durch vielfach
verbreitete Ableger unser Stamm und zog sich endlich bis an die
westlichen Grenzen, woraus zuerst damals entweder die Flüsse des
ganzen Europa oder wenigstens einige derselben die vernünftigen
Kehlen tranken. Aber mochten ursprünglich Ankömmlinge gekommen sein
oder Eingeborne nach Europa zurückkehren, eine dreifache Mundart
brachten die Menschen mit, und einige der Mitbringenden wählten sich
die südliche, andere die mitternächtliche Gegend von Europa, und
die Dritten, welche wir jetzt Griechen nennen, nahmen einen Theil von
Europa, einen Theil von Asien ein. Von einer und derselben Mundart,
die durch eine garstige Verwirrung angenommen war, empfingen nachher
verschiedene Volkssprachen ihren Ursprung, wie wir unten zeigen
werden. Denn der ganze Strich von den Ausflüssen der Donau
oder von den mäotischen Sümpfen bis zu den westlichen
Grenzen (welchen von den Grenzen Englands, der Italer und Franken und
dem Ocean eingeschlossen werden) erhielt eine Mundart,
obgleich sie nachher durch die flavonischen, ungrischen, deutschen,
sächsischen, englischen und andere viele Nationen in verschiedene
Volkssprachen abgeleitet wurde, indem dies allein fast allen als
Zeichen desselben Ursprunges zurückblieb, daß fast alle
vorhergenannten bejahend mit Jo antworten. Beginnend von dieser
Mundart, nämlich von den Grenzen der Ungarn nach Osten zu, nahm eine
andere das Ganze ein, was von da an Europa genannt wird, und
erstreckte sich weiter. Das Ganze aber, was in Europa von diesen an
übrig bleibt, nahm eine dritte Mundart ein, wenn sie gleich nicht
dreifach scheint. Denn Einige sprechen bejahend Oc, Andere
Oil, Andere Si, nämlich die Spanier, Franzosen
und Lateiner. Ein Zeichen aber, daß von einer und derselben
Mundart dieser drei Völker Sprachen abstammen, ist bereit, weil sie
Vieles mit denselben Ausdrücken benennen, zum Beispiel Deum, Caelum,
Amorem, Mare, Terram und Vivit, Moritur, Amat, fast alles Andere. Von
diesen aber nehmen Diejenigen, welche Oc sprachen, den
westlichen Theil des südlichen Europas ein, beginnend von den
Grenzen der Genueser. Diejenigen aber, welche Si sagen, nehmen
den östlichen ein von den obgenannten Grenzen an, nämlich bis an
jenes Vorgebirge Italiens, wo der Busen des adriatischen
Meeres anfängt, und bis Sicilien. Aber Diejenigen, welche Oil
sprechen, sind gewissermaßen die mitternächtlichen mit Hinsicht auf
diese; denn östlich haben sie die Alemannen und
mitternächtlich, westlich sind sie vom englischen Meere
eingeschlossen und von den Bergen Arragoniens (montañas
de Aragón :
Pirineos, aunque
hay más montañas son las principales
) begrenzt,
mittäglich (midi
: mediodía
) auch werden sie von
den Provenzalen und der Biegung des Appennins
eingeschlossen.

Neuntes Kapitel.

Von der dreifachen Verschiedenheit der
Rede, und auf welche Weise mit den Zeiten dieselbe Mundart verändert
wird, und von der Erfindung der Grammatik.

Wir müssen aber jetzt die Vernunft,
welche wir besitzen, aufbieten, da wir Das zu untersuchen
beabsichtigen, worin wir uns auf kein Ansehen stützen, das heißt,
hinsichtlich der erfolgten Veränderung der ursprünglich einen und
selbigen Mundart, insofern man bekanntere Wege sicherer und kürzer
durchschreitet. Wir wollen aber nur die eine Mundart, welche wir
haben, fortsetzen mit Uebergehung der andern. Denn was in der einen
vernunftgemäß ist, das scheint auch bei den andern stattzufinden.
Nun ist diejenige Mundart, welche wir zu betrachten vorhaben,
dreifach, wie oben gesagt ist. Denn Einige sprechen Oc,
Andre (andere) Si, Andre aber
Oil, und daß sie eins war vor dem Beginn der Verwirrung, was
zuerst zu beweisen ist, leuchtet daraus hervor, daß wir
übereinstimmen in vielen Ausdrücken, wie die beredten Lehrer
zeigen. Diese Uebereinstimmung widerstreitet nun jener Verwirrung,
welche das Vergehen war bei dem Bau zu Babel. Die Lehrer der drei
Sprachen stimmen nun in Vielem überein, und hauptsächlich in dem
Worte, welches Amor heißt.

Gerard von Brunel.

Surisentis fez les aimes

Puer encuser Amor.

Der König von Navarra.

De fin amor suoent sen et benté.

Herr Guido Guinizelli.

Nè fe’amor prima, che gentil cuore,

Nè cuor gentil prima ch’amor,
natura.

Warum sie aber von Anfang sich dreifach
verändert habe, laßt uns untersuchen, und warum jede von diesen
Veränderungen sich in sich selbst verändert, ich meine die Sprache
des rechten Italiens von der des linken abweicht; denn anders
sprechen die Paduaner und anders die Pisaner, und warum die näher
bei einander wohnenden dennoch in der Rede abweichen wie die
Mailänder und Veroneser, die Römer und Florentiner, ja Diejenigen,
welche in demselben Namen des Geschlechts übereinkommen, wie die
Neapolitaner und Gaetaner, die Ravenaten und Faenzer, und, was noch
wunderbarer ist, Diejenigen, welche in derselben Stadt wohnen, zum
Beispiel die Bolognesen der Burg von S. Felice und die Bolognesen der
Strada maggiore. Alle diese Verschiedenheiten und Abweichungen im
Sprechen, welche geschehen, werden sich auf eine und dieselbe Weise
erklären. Wir sagen daher, daß keine Wirkung ihre Ursache
übertrifft, soweit sie Wirkung ist, weil nichts bewirken kann, was
es nicht ist. Da also unsre ganze Sprache (mit Ausnahme derjenigen,
welche uns zuerst von Gott anerschaffen wurde) von unserm Gutdünken
hergestellt ist nach jener Verwirrung, welche nichts Anderes war als
ein Vergessen der ersten, und der Mensch das unbeständigste und
veränderlichste Geschöpf ist, so kann sie weder dauerhaft noch
fortbestehend sein, sondern muß, wie alles Andre, was uns gehört,
nämlich Sitten und Gewohnheiten, nach Entfernung von Orten und
Zeiten sich verändern. Und ich glaube, daß nicht zu zweifeln sei an
der Weise der Zeiten hinsichtlich Dessen, was wir gesagt haben,
sondern wir glauben, daß es festzuhalten sei; denn, wenn wir unsre
andern Werke untersuchen, so scheinen diese viel mehr von unsern
ältesten Mitbürgern abzuweichen als von den weitentfernten
Zeitgenossen. Deswegen behaupten wir kühnlich, daß, wenn die
ältesten Paduaner jetzt auferständen, so würden sie in einer
veränderten und von den neueren Paduanern verschiedenen Sprache
reden, und nicht wundersamer möchte Das erscheinen, was wir sagen,
als einen erwachsenen Jüngling zu sehen, den wir nicht erwachsen
sahen. Denn was sich allmälig bewegt, wird von uns sehr wenig
bemerkt, und je längere Zeit die Veränderung einer Sache um bemerkt
zu werden erfordert, um so beständiger halten wir sie. Denn wir
wundern uns nicht, wenn die Meinung derjenigen Menschen, welche sich
von den vernunftlosen Thieren wenig unterscheiden, glaubt, daß eine
und dieselbe Stadt sich einer gleichen Sprache stets bedient habe, da
die Veränderung der Sprache derselben Stadt nur in einer langen
Zeitfolge allmälig geschieht, und der Menschen Leben auch seiner
eigenen Natur zufolge sehr kurz ist. Wenn also in einem und demselben
Volke die Sprache sich verändert, wie gesagt ist, allmälig im
Zeitverlauf, und durchaus nicht feststehen kann, so muß sie Denen,
welche getrennt und fern weilen, auf mannichfache Art sich verändern,
wie sich mannichfach verändern Sitten und Gewohnheiten, welche weder
durch Natur noch durch Verkehr befestigt werden, sondern nach
menschlichem Gutdünken und nach örtlicher Angemessenheit entstehen.
Daher standen die Erfinder der grammatischen Kunst auf. Diese
Grammatik ist nichts Anderes, als eine gewisse unveränderliche
Einerleiheit der Sprache in verschiedenen Zeiten und Orten. Als diese
nach gemeinschaftlicher Uebereinkunft vieler Völker geordnet war,
scheint sie keinem einzelnen Gutdünken unterworfen und folglich
nicht veränderlich zu sein. Sie erfanden nun diese, damit wir nicht
wegen Veränderung der Sprache, welche nach dem Gutdünken Einzelner
schwankt, entweder gar nicht, oder wenigstens unbedeutend anrührten
das Ansehen und die Thaten der Alten oder Derjenigen, welche die
Verschiedenheit der Orte von uns verschieden macht.

Zehntes Kapitel.

Von der Verschiedenheit der Mundart in
Italien auf der rechten und linken Seite der Apenninen.

Indem nun unsre Mundart sich dreifach
zeigt, wie oben gesagt ist, wenn wir sie mit sich selbst vergleichen,
je nachdem sie dreifach lautend geworden ist, so zögern wir bei der
Erwägung mit so großer Furchtsamkeit, weil wir diesen oder jenen,
oder jenen Theil bei der Vergleichung nicht voranzustellen wagen,
ausgenommen hinsichtlich des sic, das wir von den Grammatikern als
Beiwort der Bejahung angenommen finden, was den Italern, welche Si
sagen, einen gewissen Vortritt einzuräumen scheint. Denn jede von
den drei Parteien führt ihre Sache mit bedeutenden Gründen. Die
Sprache Oil führt nämlich für sich an, daß wegen ihrer leichteren
und anmuthigeren Volkssprache Alles, was in der prosaischen
Volkssprache übergeben ist und sich darin findet, ihr gehört,
nämlich die Sammlung der biblischen Schriften nebste den Thaten der
Trojaner und Römer und die herrlichen Sagen von König Artus, und
gar viele andre Geschichten und belehrende Schriften. Die andre aber,
die von Oc, führt für sich an, daß beredte Leute aus dem
Volke in ihr von Alters her gedichtet haben, wie in den vollkommneren
und lieblicheren Sprache, zum Beispiel Peter von Alvernia und andre
ältere Gelehrte. Die dritte, die der Lateiner, bezeugt durch zwei
Vorrechte, daß sie den Vorrang habe, erstlich, daß Diejenigen,
welche lieblich und scharfsinnig in der Volkssprache dichteten, ihre
Familien- und Hausgenossen sind, als da sind Cino von Pistoja und
dessen Freund; zweitens, weil sie sich mehr auf die Grammatik zu
stützen scheinen, welche gemeinschaftlich ist, was Denen, die es
vernünftig betrachten, ein sehr wichtiger Grund zu sein scheint. Wir
aber, indem wir das Urtheil hierüber bei Seite setzen und unsre
Abhandlung der lateinischen Volkssprache zuwenden, wollen versuchen
die in dieselbe aufgenommenen Veränderungen anzugeben und sie
untereinander zu vergleichen. Wir sagen demnach, daß Latium von
Anfang sich getheilt habe in die rechte und linke Seite. Wenn aber
Jemand nach der Theilungslinie fragt, so antworten wir, das sei das
appenninische Joch, weil es sich gleichwie der Halm einer Pfeife von
hier und dort nach verschiedenen Strömungen senkt, und die Gewässer
zu den beiden verschiedenen Ufern von hier und dort durch lange
Rinnen sich schlängeln, wie Lukan im zweiten Buch beschreibt. Die
rechte Seite aber hat zum Obdach das tyrrhenische Meer, die linke
aber fällt ins adriatische ab. Und die Gegenden rechts sind Apulien,
doch nicht ganz, Rom, das Herzogthum Tuscien und die Genueser Mark.
Zur Linken aber ist ein Theil von Apulien, die Mark Arkona, Romagna,
die Lombardei, die Trevisaner Mark nebst Venedig. Friaul aber und
Istrien können nur zur linken Seite Italiens gehören, und ebenso
die Inseln des tyrrhenischen Meers, nämlich Sicilien und Sardinien
nur zur rechten Seite Italiens gehören, oder mit dem rechten Italien
verbunden werden. Auf jeder von diesen beiden Seiten und in den
Theilen, welche sich damit verbinden, verändern sich die
menschlichen Sprachen, wie die Sprache der Sicilier mit den Apuliern,
der Apulier mit den Römern, der Römer mit den Spoletanern, dieser
mit den Tusciern, der Tuscier mit den Genuesern, der Genueser mit den
Sardern; eben so der Kalabresen mit den Ankonitanern, dieser mit den
Romagnanern, der Romagnaner mit den Lombarden, der Lombarden mit den
Trevisanern und Venetianern, und Dieser mit den Aquilejern und dieser
mit den Friaulern, worüber wir glauben, daß kein Lateiner mit uns
uneins sei. Daher scheint Italien allein nicht weniger als vierzehn
verschiedene Sprachen zu haben, welche Volkssprachen alle wieder in
sich verschieden sind, nämlich in Tuscien die Sienesen und Aretiner,
in der Lombardei die Ferraresen und Placentiner, ja in derselben
Stadt finden wir einige Verschiedenheit, wie wir in dem unmittelbar
vorhergehenden Kapitel behauptet haben; wenn wir daher die
Veränderungen erster, zweiter und dritter Klasse der Volkssprache in
Italien in Rechnung bringen wollen, so möchten wir wohl in diesem so
kleinen Winkel der Welt nicht blos auf eine tausendfache Veränderung
der Sprache kommen, sondern noch darüber hinaus.

So bezeichnet sich Dante in dieser
Abhandlung mehrmals.

Elftes Kapitel.

Es wird gezeigt, daß einige in Italien
eine häßliche und schmucklose Sprache haben.

Da die lateinische Volkssprache in
vielen Veränderungen mistönt, wollen wir die zierlichere und edle
Sprache Italiens aufsuchen, und um einen durchsichtigen Pfad für
unsern Weg zu gewinnen, wollen wir zuerst die verwachsenen Gesträuche
und Dornen ausreuten aus dem Walde. Sowie nun die Römer glauben, daß
sie Allen vorgezogen werden müssen, wollen wir auch bei dieser
Ausmerzung oder Aussonderung nicht mit Unrecht sie Allen
voranstellen, indem wir betheuern, daß sie bei der Betrachtung der
Volksberedtheit gar nicht in Betracht kommen. Wir sagen demnach, daß
die Sprache der Römer nicht eine Volkssprache, sondern vielmehr von
allen Volkssprachen der Italer das häßlichste Kauderwelsch sei, und
das ist nicht zu verwundern, da sie auch an ungestalten Sitten und
Gewohnheiten vor allen ekelhaft zu sein scheinen. Denn sie sagen:
Mezure quinto dici. Nach ihnen wollen wir die Einwohner der Mark
Ankona aussondern, welche sagen Chignamente scate siate; und mit
ihnen verwerfen wir auch die Spoletaner; auch ist nicht zu übergehen,
daß zur Verhöhnung dieser drei Völkerschaften mehrere Kanzonen
erfunden sind, unter welchen wir eine wichtig und vollkommen abgefaßt
gesehen haben, welche ein gewisser Florentiner mit Namen Castra
gemacht hatte; denn sie fängt an:

Una ferina va scopai da Cascoli

Cita cita sengia grande aina.

Nach ihnen wollen wir die Mailänder
und Bergamasken und ihre Nachbaren ausgäten, zu deren Verhöhnung
wir uns erinnern, daß Jemand gesungen hat:

Ente l’ora del Vesperzio

Cu del mes dochiòver.

Nach ihnen wollen wir die Aquilejer und
Istrianer sieben, welche Ces fastu mit grausamer Betonung ausstoßen.
Und mit ihnen wollen wir hinauswerfen alle Berg- und Bauersprachen,
welche von den Bewohnern der Städte in der Mitte des Landes durch
eine Maßlosigkeit der Betonung immer abzuweichen scheinen, wie die
Kasentiner und Pratenser; auch die Sarder, welche nicht Lateiner
sind, aber mit den Lateinern verbunden werden zu müssen scheinen,
wollen wir verwerfen, insofern sie allein keine besondere
Volkssprache zu haben scheinen, indem sie der Grammatik nachahmen,
wie die Affen den Menschen, denn sie sprechen:

Domus nova und dominus meus.

Zwölftes Kapitel.

Von der sicilischen und apulischen
Mundart.

Aus den gewissermaßen mit Spreu
vermischten Volkssprachen Italiens wollen wir unter denen, welche im
Siebe zurückblieben, indem wir eine Vergleichung anstellen, die
ehrhafteste und ehrbringendste auswählen, und zuerst die Fähigkeit
der sicilianischen untersuchen, denn die sicilische Volkssprache
scheint sich vor allen einen Ruf zuzuschreiben, deswegen weil Alles,
was die Italer dichten, sicilisch genannt wird, und deswegen weil wir
finden, daß sehr viele der dort eingebornen Gelehrten ernst gesungen
haben, wie in jenen Kanzonen:

Ancos che l’aigua per lo foco lasse.

Und

Amor, che longiamente m’hai menato.

Aber dieser Ruf des trinakrischen
Landes, wenn wir das Merkzeichen, wohin er strebt, recht betrachten,
scheint nur zur Schmach der italischen Fürsten zurückgeblieben zu
sein, welche nicht auf heroische, sondern auf pöbelhafte Weise dem
Stolze fröhnten. Freilich die berühmten Helden, Kaiser Friedrich
und sein trefflicher Sohn Manfred, den Adel und die Gradheit ihrer
Gestalt entfaltend, so lange das Glück ihnen treu blieb, trachteten
dem Menschlichen nach, das Thierische verschmähend, weshalb die an
Herzen Edlen und mit Anmuth Begabten der Majestät so großer Fürsten
anzuhangen versuchten, sodaß zu ihrer Zeit Alles, was die edelsten
Lateiner unternahmen, ursprünglich am Hofe so großer Kronenträger
ans Licht trat. Und weil ihr Königsthron Sicilien war, geschah es,
daß Alles, was unsre Vorgänger in der Volkssprache verfaßten,
sicilisch genannt wird, was wir gleichfalls noch thun und auch unsre
Nachkommen nicht abzuändern vermögen werden. Racha, Racha. Was tönt
jetzt die Trommete des letzten Friedrich? Was die Schelle des zweiten
Karl? Was die Hörner der mächtigen Markgrafen Johann und Azzo? Was
die Flöten der andern Magnaten als: Kommt, Scharfrichter, kommt,
Hochmüthige, kommt Habsüchtige! Aber es ist besser, zum Vorhaben
zurückzukehren, als eitel zu sprechen; und wir sagen, daß, wenn wir
die sicilische Volkssprache nehmen wollen, das heißt, die, welche
von dem Mittelstande der Landbewohner kommt, nach deren Mund das
Urtheil abzufassen scheint, es des Vorzugs keineswegs würdig ist,
weil es nicht ohne einige Zeitdauer ausgesprochen wird, wie in:

Traggemi d’este focora se t’este a
bolontate.

Wenn wir aber diese Mundart nicht
nehmen wollen, sondern die, welche aus dem Munde der vornehmen
Sicilianer hervorkommt, wie man in den obenangeführten Kanzonen
sehen kann, so unterscheidet sie sich nicht von der, welche die
lobenswertheste ist, wie wir unten zeigen. Auch die Apulier, entweder
wegen eigener Bitterkeit, oder wegen der Nähe der Grenzbewohner,
nämlich der Römer und Markbewohner, sprechen abscheulich
barbarisch; denn sie sagen:

Volzera che chiangesse lo quatraro.

Aber obgleich die Landbewohner unter
den Apuliern insgemein häßlich sprechen, haben doch einige
Hervorstralende von ihnen zierlich gesprochen, indem sie die
höfischeren Ausdrücke in ihren Kanzonen zusammensuchten, wie dies
Denen deutlich ist, welche ihre Gedichte betrachten, zum Beispiel:

Madonna, dir vi voglio.

Und

Per fino amore vo si lietamente.

Weshalb Denen, welche Obiges beachten,
einleuchtet, daß weder die sicilische, noch die apulische
Volkssprache die beste sei, da wir gezeigt haben, daß die beredten
Eingebornen von der eignen Sprache abwichen.

Dreizehntes Kapitel.

Von der Mundart der Tuscier und
Genueser.

Nach Diesen kommen wir zu den Tusciern,
welche wegen ihrer Thorheit unsinnig sich den Titel der edlen
Volkssprache zuzulegen scheinen, und hierin zeigt sich nicht blos die
Meinung des gemeinen Volks närrisch, sondern wir finden, daß auch
viele berühmte Männer sie gehabt haben, zum Beispiel Guitto von
Arezzo, der sich niemals nach der höfischen Volkssprache richtete,
Bonagiunta von Lukka, Gallo von Pisa, Mino Mocato von Siena, und
Brunetto aus Florenz, deren Gedichte, wenn man die Zeit hat sie zu
prüfen, man finden wird, daß sie nicht in der Hofsprache, sondern
in der Sprache ihrer Städte abgefaßt sind. Und weil die Tuscier vor
allen in dieser Trunkenheit rasen, scheint es würdig und nützlich,
die Volkssprachen der toskanischen Städte einigermaßen zu
entdünkeln. Die Florentiner sprechen und sagen:

Manuchiamo introcque:

Non facciamo altro.

Die Pisaner:

Bene andonno li fanti di Fiorenza per
Pisa.

Die Lucchesen:

Jo voto a Dio, che ingassaria lo comuno
de Luca.

Die Sienesen:

Onche rinegata avesse io Siena.

Die Arretiner:

Votu venire ovelle.

Von der alten Stadt Perugia, von
Viterbo und der Stadt Castellana, denke ich, wegen der
Verwandtschaft, welche sie mit den Römern haben, nichts zu sagen.
Aber obgleich fast alle Toskaner in ihrem Kauderwelsch abgestumpft
sind, wissen wir doch, daß Einige die Trefflichkeit der Volkssprache
eingesehen haben, nämlich Guido, Lapo, und ein Andrer, welche
Florentiner sind, und Cino von Pistoja, welchen wir jetzt
unwürdigerweise nachsetzen, indem wir nicht unwürdigerweise
gezwungen sind. Wenn wir daher die toskanischen Mundarten untersuchen
und erwägen, wie hochgeehrte Männer sich von der ihrigen abwandten,
bleibt kein Zweifel, daß die Volkssprache, welche wir suchen, eine
andre sei als die, welche das toskanische Volk hat. Wenn Jemand aber
Das, was wir von den Tusciern behaupten, von den Genuesern nicht
behaupten zu dürfen glaubt, so erwäge er dies allein bei sich, daß
wenn die Genueser aus Vergeßlichkeit den Buchstaben z einbüßten,
sie entweder verstummten oder sich eine neue Sprache erfinden müßten;
denn in z besteht der größte Theil ihrer Sprache, welcher Buchstabe
sich nicht ohne viele Rauheit aussprechen läßt.

Ein Andrer, wahrscheinlich Dante.

Vierzehntes Kapitel.

Von der Mundart der Romagna, und von
einigen transpadanischen und besonders von der venetianischen.

Jetzt über die waldigen Schultern des
Apennins wandelnd wollen wir die ganze linke Seite Italiens
durchspähen, wie wir es machten, als wir östlich einhergingen. Die
Romagna also beschreitend sagen wir, in Latium zwei Volkssprachen
gefunden zu haben, von welchen die eine der andern in gewissen
entgegengesetzten Uebereinstimmungen gegenübersteht. Die eine von
diesen scheint so weiblich wegen der Weichheit der Wörter und der
Aussprache, daß sie einen Mann (wenn er auch männlich spricht) wie
eine Frau erscheinen läßt. Diese haben alle Romagnuolen, und
besonders die von Forli, deren Stadt, obgleich sie sehr neu ist, die
Mitte dennoch der ganzen Landschaft zu sein scheint. Diese sprechen
bejahend Deusci, und, wenn sie schmeicheln, sagen sie Oclo meo und
Corada mea. Wir haben gehört, daß einige von diesen in ihren
Gedichten von der eigenen Sprache abgewichen sind, zum Beispiel
Thomas und Ugolino Bucciola, die Faenzer. Es gibt auch eine andre,
wie gesagt ist, in Worten und Betonung so rauh und dornicht, daß sie
wegen ihrer rohen Rauheit nicht blos eine Frau beim Sprechen
misziert, sondern macht, daß man sie für einen Mann hält. Diese
haben alle Diejenigen, welche Magara sagen, nämlich die Brescianer,
Veronesen, Vicentiner, und auch die Paduaner, welche synkopiren alle
Participia in tus, und die abgeleiteten Wörter auf tas, wie mercò
und bontè, denen wir auch die Trevisaner zugesellen, welche nach Art
der Brescianer und ihren Nachbaren den Konsonaten v wie ein f
aussprechen mit Weglassung des letzten Buchstabens, z. B. Rof für
Rove, Vif für Vivo, was wir als höchst barbarisch tadeln. Auch die
Venetianer werden nicht würdig sein der Ehre der nachgespürten
Volkssprache, und wenn einer von diesen von Irrthum befangen hiermit
pralte, so bedenke er, ob er je gesagt habe:

Per le plage de Dio tu non venras;

unter welchen Allen wir einen gesehen
haben, welcher strebte, sich von der Muttersprache wegzuwenden und
der höfischen Volkssprache zu huldigen, nämlich Ildebrando aus
Padua. Daher glauben wir, wenn Alle in diesem Kapitel vor Gericht
erscheinen, daß weder die aus der Romagna, noch ihr Gegentheil, wie
gesagt ist, noch die venetianische die edle Volkssprache sei, welche
wir suchen.

Fünfzehntes Kapitel.

Läßt sich weit aus über die
bolognesische Mundart.

Das aber, was vom italischen Walde noch
übrig ist, wollen wir rasch durchsuchen. Wir sagen demnach, daß
Diejenigen vielleicht keiner übeln Meinung sind, welche behaupten,
daß die Bolognesen eine schönere Mundart haben, weil sie von den
umwohnenden Imolesen, Ferraresen und Modenesen etwas in ihre eigne
Mundart aufnehmen, sowie wir gezeigt haben, daß alle von ihren
Nachbaren etwas annehmen, wie Sordello dies von seiner Vaterstadt
Mantua zeigt, welche mit Cremona, Brescia und Verona zusammengrenzt,
welcher in der Beredtsamkeit so große Mann nicht blos in seinen
Gedichten, sondern in allen seinen verschiedenen Schriften die
Volkssprache seiner Vaterstadt aufgab. Es nehmen auch die obgenannten
Bürger von den Imolesen Lindigkeit und Weichheit an, von den
Ferraresen aber und Modenesen eine gewisse Geschwätzigkeit, welche
den Lombarden eigenthümlich ist. Diese glauben wir sei aus der
Vermischung mit den longobardischen Fremdlingen den Landbewohnern
zurückgeblieben; und dies ist die Ursache, weshalb wir finden, daß
Niemand aus Ferrara, Modena oder Reggio gedichtet habe. Denn die an
eigenthümliche Geschwätzigkeit Gewöhnten können auf keine Weise
zu der höfischen Volkssprache ohne eine gewisse Härte gelangen, was
noch weit mehr von den Einwohnern Parmas zu glauben ist, welche manto
für molto sagen. Wenn also die Bolognesen von beiden Seiten etwas
annehmen, wie oben gesagt ist, scheint es wahrscheinlich zu sein, daß
ihre Sprechart durch Vermischung mit zwei entgegengesetzten, wie
gesagt ist, zu einer löblichen Milde gemäßigt werde, was wir
zweifelsohne nach unserm Urtheil dafür halten, daß es so sei. Wenn
daher Diejenigen, welche sie in der Volkssprache vorziehen, sie
betrachten blos in Vergleich mit den Volkssprachen der Städte
Italiens, so stimmen wir ihnen gern bei; wenn sie aber glauben, daß
geradehin die bolognesische Mundart vorzuziehen sei, so stimmen wir
ihnen nicht bei und weichen ab; denn ihre Mundart ist nicht die,
welche wir die höfische und die edle nennen; denn, wenn das der Fall
gewesen wäre, so würden Massimo Guido Guinicelli, Guido Ghisliero,
Fabricio und Onesto, und andre Dichter Bolognas niemals von der
ersten Sprechart abgewichen sein, sie, welche edle Gelehrte und voll
Kenntniß der Volkssprachen waren.

Massimo Guido

Madonna il fermo core.

Fabricio

Lo mio lontano gire.

Onesto

Più non attendo il tuo soccorso, Amore

welche Worte von denen der niederen
Bolognesen ganz verschieden sind. Da wir nun glauben, daß wegen der
übrigen Sprachen in den äußersten Städten Italiens Niemand einen
Zweifel hege, und, wenn Jemand zweifelt, wir ihn nicht unsrer Antwort
würdigen, so bleibt in dieser Untersuchung wenig zu sagen übrig;
daher das Sieb niederzulegen wünschend, um schnell das
Zurückgebliebene zu betrachten, sagen wir, daß die Städte Trient
und Turin, sowie Alessandria den Grenzen Italiens so nahe sind, daß
sie keine reine Mundart haben können, sodaß, wenn sie, wie sie die
abscheulichste Volkssprache haben, die schönste hätten, wir läugnen
würden, daß sie wegen der Vermischung mit andern eine wahrhaft
lateinische sei. Daher, wenn wir der edlen lateinischen nachjagen, so
kann diejenige, welche wir suchen, bei ihnen nicht gefunden werden.

Sechszehntes Kapitel.

Daß in jeder Mundart etwas Schönes
sei, und in keiner alles Schöne.

Nachdem wir die Waldrücken und Weiden
Italiens durchjagt und den Panther, welchen wir suchen, nicht
gefunden haben, wollen wir, um ihn finden zu können, vernünftiger
ihm nachspüren, sodaß wir mit scharfsinnigem Eifer ihn, den man
allenthalben spürt und der sich doch nicht blicken läßt, völlig
in unsre Netze einfangen. Indem wir also wieder zu unsern Jagdspießen
greifen, sagen wir, daß in jeder Art von Dingen eins sein muß,
womit Alles von dieser Art verglichen und gewogen werden kann; und
davon wollen wir das Maß für alle nehmen, sowie beim Zählen Alles
nach der Zahl Eins gemessen und mehr oder weniger genannt wird, je
nachdem es von der Eins sich entfernt oder ihr sich nähert. Und so
wird bei den Farben jede nach der weißen gemessen, und sie werden
mehr oder weniger sichtbar genannt, je nachdem sie ihr nahe oder fern
sind. Und wie wir von Dem, was eine Vielheit oder Beschaffenheit
zeigt, sprechen, so glauben wir auch, daß von jeder Aussage und von
dem Wesen gesprochen werden könne, nämlich das jedes meßbar sei
nach demjenigen, was in jener Art das einfachste ist. Daher muß sich
in unsern Thätigkeiten, soweit sie in Arten getheilt werden, dieses
Kennzeichen finden, wodurch sie selbst zu messen sind; denn in so
weit wir einfach als Menschen handeln, haben wir eine Kraft, um im
Allgemeinen jene einzusehen, denn ihr zufolge halten wir einen
Menschen für gut und schlecht; sofern wir als Bürger handeln, haben
wir das Gesetz, nach welchem jemand ein guter und ein schlechter
Bürger genannt wird; sofern wir als Lateiner handeln, haben wir
einige einfache Zeichen, sowohl der Sitten als der Gewohnheiten und
der Sprache, nach welchen wir die lateinischen Handlungen wägen und
messen. Die edelsten Handlungen sind diejenigen, welche lateinisch
sind, und diese gehören keiner einzelnen Stadt Italiens, sondern
sind allen gemein: unter welchen nunmehr die Volkssprache
unterschieden werden kann, welcher wir oben nachjagten, weil sie in
jeder Stadt zu spüren ist und in keiner Wohnung wacht. Sie kann
jedoch mehr in der einen als in der andern zu spüren sein, wie dies
einfachste der Wesen, welches Gott ist, welcher mehr im Menschen zu
spüren ist als im Thiere, im Thiere mehr als in der Pflanze, in
dieser mehr als im Erz, in diesem mehr als im Himmel, im Feuer mehr
als in der Erde. Und die einfachste Größe, welche die Eins ist,
zeigt sich mehr in der ungleichen Zahl als in der gleichen; und die
einfachste Farbe, welche die weiße ist, zeigt sich mehr in der
Citronenfarbe als in der grünen. Nachdem wir so erlangt haben, was
wir suchten, sagen wir, daß die erlauchte, Angel-, Hof-, und
Rechtssprache des Volks in Latium sei, welche allen lateinischen
Städten zukommt, und keiner einzelnen zuzukommen scheint, und nach
welcher alle Volkssprachen der Städte gemessen, gewogen und
verglichen werden.

Siebzehntes Kapitel.

Warum diese Mundart die erlauchte
genannt wird; auch wird Cino von Pistoja erwähnt.

Warum wir aber diese Mundart, welche
wir gefunden haben die erlauchte, Angel-, Hof-, und Rechtssprache
benennen wollen, ist jetzt auseinanderzusetzen, wodurch wir Das, was
sie selbst ist, deutlicher erklären werden. Zuerst wollen wir denn
beleuchten, was wir damit meinen, wenn wir sie erlaucht betiteln, und
warum wir sie so nennen. Durch Alles, was wir erlaucht nennen,
verstehen wir Etwas, das erleuchtend und erleuchtet vorglänzt. Auf
diese Weise nennen wir Männer erlaucht, theils weil sie durch Macht
stralend Andre durch Gerechtigkeit und Menschenliebe erleuchten,
theils weil sie als treffliche Obrigkeiten trefflich walten wie
Seneka und Numa Pompilius. Und die Volkssprache, von welcher wir
sprechen, ist theils erhöht durch Obrigkeit und Macht, theils erhöht
sie die Ihrigen durch Ehre und Ruhm. Durch Obrigkeit scheint sie
nämlich erhöht, weil wir sehen, daß sie aus so vielen rohen
lateinischen Worten, aus so vielen verwirrten Wortfügungen, aus so
vielen mangelhaften Aussprachen, aus so vielen bäurischen
Betonungen, als eine so ausgezeichnete, so entwirrte, so vollkommne
und so gebildete erwählt ist, wie Cino von Pistoja und dessen Freund
in ihren Kanzonen zeigen. Daß sie aber durch Macht erhoben sei, ist
deutlich; und was hat größere Macht, als sie, die menschliche
Herzen bewegen kann? sodaß sie den Nichtwollenden wollend und den
Wollenden nichtwollend macht, wie sie es gethan hat und thut. Daß
sie aber mit Ehre erhebt, ist leicht zu sehen. Ueberwinden nicht ihre
Hausgenossen Könige, Markgrafen und Grafen und alle Magnaten an
Ruhm? Das bedarf wahrlich des Beweises nicht. Wie sehr sie aber ihre
Freunde berühmt mache, wissen wir selbst, die wir durch die
Süßigkeit dieses Ruhms unsre Verbannung mildern; daher dürfen wir
sie mit Recht erlaucht nennen.

Achtzehntes Kapitel.

Warum diese Mundart Angel-, Hof- und
Rechtssprache genannt werde.

Nicht ohne Grund schmücken wir diese
erlauchte Volkssprache mit dem zweiten Namen, sodaß wir sie
Angelsprache nennen; denn wie die ganze Thür der Angel folgt, und
wie die Angel sich dreht, sich selbst dreht, möge sie nach innen
oder nach außen sich wenden: so wendet sich auch die ganze Schaar
der städtischen Volkssprachen vorwärts und rückwärts, bewegt sich
und hält inne nach ihrem Beispiel, sodaß sie wahrhaft die Mutter
der Familie zu sein scheint. Rottet sie nicht täglich die dornigen
Gestrüppe aus dem italischen Walde? Setzt sie nicht täglich
Pflanzen ein oder bepflanzt die Pflanzungen? Was beginnen Anderes die
Ackersleute, als daß sie hinzuthun und wegnehmen, wie gesagt ist?
weshalb sie durchaus verdient, mit solchem Namen geschmückt zu
werden. Daß wir sie aber Hofsprache nennen, davon ist dies die
Ursache, daß, wenn wir Italer einen Hof hätten, sie die Sprache des
Palastes sein würde: denn wenn der Hof das gemeinschaftliche Haus
des ganzen Reichs ist und der hochheilige Verwalter aller Theile des
Reichs, so ist es angemessen, das Alles, was von der Art ist, daß es
Allen gemein ist, und keinem Einzelnen, in ihm zu verkehren und zu
wohnen; und keine andre Wohnung ist eines solchen Wohners würdig.
Eine solche aber scheint wahrhaft die Volkssprache zu sein, von
welcher wir reden, und daher kommt es, daß Diejenigen, welche in
allen königlichen Häusern verkehren, immer die erlauchte
Volkssprache sprechen. Daher kommt es auch, daß unsre erlauchte wie
eine Fremde pilgert, und in niedrigen Freistätten herbergt, da wir
eines Hofes ermangeln. Sie ist auch nach Verdienst Rechtssprache zu
nennen, denn das Rechtswesen ist nichts Anderes als die erwogene
Regel alles Dessen, was zu thun ist; und weil die Wage für solche
Wägung nur in den vornehmsten Rechtshöfen zu sein pflegt, so kommt
es daher, daß Alles, was in unsern Handlungen wohl erwogen ist,
rechtlich genannt wird. Da sie nun an dem vornehmsten Rechtshofe der
Italer erwogen ist, verdient sie Rechtssprache genannt zu werden.
Aber zu sagen, daß sie an dem vornehmsten Rechtshofe der Italer
erwogen sei, scheint Geschwätz, da wir eines Rechtshofes ermangeln:
worauf leichtlich geantwortet wird; denn wenn gleich ein Rechtshof
(wenn ein einzelner angenommen wird, wie der Rechtshof des Königs
von Alemannien) in Italien nicht ist, fehlt doch das Glied desselben
nicht, und wie die Glieder desselben durch einen Fürsten vereinigt
werden, so sind deren Glieder durch das holde Licht der Vernunft
vereinigt; weshalb es falsch wäre, zu sagen, daß die Italer des
Rechtshofes ermangeln obgleich sie des Fürsten ermangeln, insofern
wir einen Rechtshof haben, ob er gleich körperlich zerstreut ist.

Neunzehntes Kapitel.

Daß die italischen Mundarten auf eine
zurückgeführt werden, und daß diese die lateinische genannt wird.

Diese Volkssprache aber, welche als
erlaucht, als Angel-, Hof- und Rechtssprache dargestellt ist, sagen
wir, sei diejenige, welche lateinische Volkssprache genannt wird.
Denn wie man eine Volkssprache finden kann, welche Cremona
eigenthümlich ist, so ist eine zu finden, welche der Lombardei
eigenthümlich ist, und wie eine zu finden ist, welche der Lombardei
eigenthümlich ist, so ist eine zu finden, welche dem ganzen linken
Italien eigenthümlich ist, und wie diese alle zu finden sind, so ist
auch eine zu finden, welche ganz Italien gehört, und wie die eine
die cremonesische, die andre die lombardische, die dritte die des
halben Latiums heißt, so heißt die, welche ganz Italien gehört,
die lateinische Volkssprache. Denn ihrer haben sich bedient die
erlauchten Lehrer, welche in der Volkssprache gedichtet haben, zum
Beispiel Männer aus Sicilien, Apulien, aus der Romagna, aus der
Lombardei und aus den beiden Marken. Und weil unsre Absicht ist, wie
wir im Anfange dieses Werks versprochen haben, eine Anweisung über
die Beredsamkeit in der Volkssprache zu geben, werden wir, von ihr
selbst als der trefflichsten ausgehend, die Männer, welche wir
würdig halten sich derselben zu bedienen, und warum und wie,
desgleichen wo, wann und an welche sie zu richten sei, abhandeln, und
nach dessen Erklärung die niederern Volkssprachen zu erklären
bemüht sein, stufenweise hinabsteigend bis zu der, welche einer
einzigen Familie eigenthümlich ist.

Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Wem es zukomme, sich der gebildeten und
geschmückten Volkssprache zu bedienen, und wem es nicht zukomme.

Zum zweitenmal die Hurtigkeit unserer
Fähigkeit darbietend und zum Halme des Fruchtwerkes zurückkehrend,
bezeugen wir vor Allem, daß es sich gezieme, die erlauchte
lateinische Volkssprache sowol prosaisch als metrisch anzuwenden.
Aber weil sie die Prosaiker mehr von den Dichtern empfangen, und weil
Das, was gedichtet ist, den Prosaikern als festes Muster verbleibt,
und nicht im Gegentheil, weil Einiges den Vorrang zu geben scheint,
daher wollen wir sie, derzufolge welche metrisch ist, als
Dichtersprache nehmen und nach jener Ordnung abhandeln, die wir am
Ende des ersten Buches kund gegeben haben. Wir wollen demnach zuerst
untersuchen, ob Diejenigen, welche Verse für das Volk machen, sich
derselben bedienen dürfen, und schon oberflächlich scheint es, daß
dies so sei, weil Jeder, welcher Verse macht, seine Verse schmücken
muß, so viel er kann. Da nun nichts so großen Schmuck hat wie die
erlauchte Volkssprache, scheint es, daß jeder Verskünstler sich
derselben bedienen müsse. Ueberdies Dasjenige, was in seiner Art das
Beste ist, scheint, wenn es mit dem Niedrigeren vermischt wird, nicht
nur nichts ihm zu entziehen, sondern es zu verbessern. Wenn daher ein
Versemacher, wiewol er rauhe Verse macht, sie seiner Rauhheit
beimischt, so wird er nicht nur seiner Rauhheit eine Wohlthat
erzeigen, sondern es scheint, daß er dies auch thun müsse. Viel
mehr bedürfen aber Diejenigen der Hülfe, welche wenig, als Die,
welche viel vermögen; und so ist es klar, daß es allen Versmachern
erlaubt ist, sich derselben zu bedienen. Aber dies ist ganz falsch,
weil die besten Verskünstler sie nicht immer anziehen dürfen, wie
aus dem unten Folgenden wird erwogen werden können. Sie fordert
demnach Männer, die ihr ähnlich sind, wie andere unserer Sitten und
Gewohnheiten; denn die hohe Freigebigkeit erfordert Mächtige, der
Purpur Edle; so fordert auch sie Männer, die sich durch Fähigkeit
und Wissenschaft auszeichnen, und Andere verschmäht sie, wie aus dem
unten Folgenden sich ergeben wird; denn Alles, was uns zukommt, kommt
uns zu vermöge des Geschlechtes oder der Art oder des Einzelwesens,
wie empfinden, lachen, Waffen führen; sie aber kommt uns nicht zu
vermöge des Geschlechtes, weil sie auch den Thieren zukommen würde,
auch nicht vermöge der Art, weil sie den gesammten Menschen zukäme,
worüber kein Zweifel sein kann; denn Niemand würde sagen, daß sie
den Bergbewohnern zukomme. Aber die besten Vorstellungen können nur
da sein, wo Wissenschaft und Geistesfähigkeit ist; deshalb kommt die
beste Sprache nicht Denen zu, welche Bäurisches treiben. Sie kommt
deswegen zu wegen der Person, aber der Person kommt nichts zu als
wegen eigenthümlicher Würdigkeiten, zum Beispiel Handel treiben,
Waffen führen und regieren; wenn daher die zukommenden Dinge Bezug
haben auf die Würdigkeiten, das heißt, auf die Würdigen (und
Einige können würdig, Einige würdiger, Einige am würdigsten
sein), so leuchtet ein, daß das Gute den Würdigen, das Bessere den
Würdigeren, das Beste den Würdigsten zukommt. Und da die Sprache
auf keine andere Art ein nothwendiges Werkzeug für unsere
Vorstellung ist als das Pferd für den Krieger, und den besten
Kriegern die besten Pferde zukommen, so wird den besten
Vorstellungen, wie gesagt ist, die beste Sprache zukommen; aber die
besten Vorstellungen können nur die sein, wo Wissenschaft und
Fähigkeit ist; also kommt die beste Sprache nur Denen zu, welche
Fähigkeit und Wissenschaft besitzen; und so kommt nicht allen
Versemachern die beste Sprache zu, da Viele ohne Wissenschaft und
Fähigkeit Verse machen, und folglich auch nicht die erlauchte
Volkssprache. Daher, wenn sie nicht Allen zukommt, dürfen sich nicht
Alle derselben bedienen, weil Keiner ungeziemend handeln darf. Und
wenn gesagt wird, daß Jeder seine Verse schmücken muß, so viel er
kann, so bezeugen wir, daß dies wahr sei; aber wir werden weder
einen gesattelten Ochsen noch ein gegürtetes Schwein geschmückt
nennen, vielmehr es als verhäßlicht verlachen; denn Schmuck heißt
Zusatz von etwas Geziemendem. Wenn nun gesagt wird, daß Höheres,
dem Niederen zugemischt, einen Gewinn herbeiführe, so sagen wir, daß
dies wahr ist, sofern keine Sonderung stattfindet, zum Beispiel, wenn
wir Gold mit Silber verschmelzen; aber wenn eine Sonderung bleibt, so
verliert das Niedere, zum Beispiel, wenn schöne Frauen zu häßlichen
hinzukommen. Wenn daher die Meinung der Versemacher, vermischt mit
den Worten, immer gesondert bleibt, so wird sie, sofern sie nicht
sehr gut ist, vereinigt mit der besten Volkssprache, nicht besser,
sondern schlechter erscheinen, wie eine häßliche Frau, wenn sie
sich in Gold und Seide kleidet.

Zweites Kapitel.

In welchem Stoffe sich die geschmückte
Volksberedsamkeit gezieme.

Nachdem wir gezeigt haben, daß nicht
alle Versemacher, sondern nur die ausgezeichnetsten, sich der
erlauchten Volkssprache bedienen dürfen, folgt nun zu zeigen, ob
Alles darin zu behandeln sei oder nicht; und wenn nicht Alles, zu
zeigen, was derselben gesonderterweise würdig sei. Hiebei ist zuerst
ausfindig zu machen, was wir darunter verstehen, wenn wir sagen, daß
diejenige Sache würdig sei, welche Würdigkeit hat, sowie Das edel
ist, was Adel hat, und so, wenn man das Gewöhnende erkannt hat,
erkennt man das Gewohnte, soweit es dessen ist; daher, wenn wir die
Würdigkeit erkannt haben, werden wir auch das Würdige erkennen. Nun
ist Würdigkeit der Verdienste Wirkung oder Ziel; wie wenn sich
Jemand gut verdient gemacht hat, so sagen wir, daß er zur Würdigkeit
des Guten gekommen sei; wenn aber übel, zur Würdigkeit des Uebeln,
nämlich Einer, der gut gekämpft hat, zur Würdigkeit des Sieges;
Einer, der wohl regiert hat, zur Würdigkeit der Regierung; eben so
der Lügenhafte zur Würdigkeit der Scham, und der Räuber zur
Würdigkeit des Todes. Aber da bei den Wohlverdienten Vergleichungen
stattfinden, sowie in andern Dingen, sodaß Einige wohl, Einige
besser, Einige am besten, Einige schlecht, Einige schlechter, Einige
am schlechtesten sich verdient machen, und dergleichen Vergleichungen
nicht stattfinden als mit Hinsicht auf das Ziel der Verdienste,
welches wir Würdigkeit nennen, wie gesagt ist, so ist offenbar, daß
die Würdigkeiten unter sich verglichen werden nach dem mehr oder
weniger, sodaß einige groß, einige größer, einige am größten
sind, und folglich ein anderes würdig, ein anderes würdiger, ein
anderes am würdigsten ist. Und da die Vergleichung der Würdigkeiten
nicht denselben Gegenstand betrifft, sondern verschiedene, sodaß wir
Den würdiger nennen, der größerer, und am würdigsten, der der
größten Dinge würdig ist, weil nichts einer und derselben Sache
würdig sein kann; so ist offenbar, daß die besten Dinge nach
Erforderniß der Dinge der Besten würdig sind. Daher wenn die
Sprache, welche wir die erlauchte nennen, die beste von allen
Volkssprachen ist, so folgt, daß nur die besten Dinge würdig sind,
in derselben behandelt zu werden, welche wir der Behandlung am
würdigsten nennen. Welche nun diese sind, wollen wir jetzt
nachforschen. Um dieselben ins Licht zu setzen, muß man wissen, daß,
wie der Mensch ein dreifaches Leben hat, nämlich das Pflanzen-,
Thier- und Vernunftleben, er eine dreifache Bahn wandelt. Denn dem
Pflanzenleben zufolge sucht er das Nützliche, was er mit den
Pflanzen theilt; dem Thierleben nach das Angenehme, was er mit den
vernunftlosen Thieren theilt; dem Vernunftleben nach sucht er das
Ehrenvolle, was er allein hat oder mit der Engelsnatur theilt. Auf
diese dreifache Art scheinen wir zu thun, was wir thun, und weil in
jeder von diesen dreien Einiges größer, Einiges am größten ist,
scheint hienach Das, was das größte ist, am meisten behandelt
werden zu müssen, und folglich in der bedeutendsten Volkssprache.
Aber es ist zu untersuchen, was das Größte ist, und zwar zuerst in
Dem, was nützlich ist, und wenn wir hiebei scharfsinnig die Absicht
aller Derjenigen erwägen, welche den Nutzen suchen, werden wir
nichts Anderes finden als das Wohlergehen; zum zweiten in Dem, was
angenehm ist, wo wir sagen, daß Dasjenige am angenehmsten ist, was
uns als köstlichster Gegenstand der Begehrung erfreut: dies ist aber
die Liebe; zum dritten in Dem, was ehrenvoll ist, wo Niemand
zweifelt, daß dies die Tugend sei. Daher scheinen jene drei, nämlich
Wohlergehen, Liebe und Tugend, jene großen Stoffe zu sein, welche zu
behandeln am würdigsten sind, das heißt, diejenigen, welche in
dieser Rücksicht die würdigsten sind, nämlich Tüchtigkeit in den
Waffen, Liebesglut und rechter Wille. Diese allein, wenn wir wohl
nachfragen, finden wir, daß erlauchte Männer in der Volkssprache
besungen haben, nämlich Bertram von Bornio die Waffen, Arnald Daniel
die Liebe, Gerhard von Bornello die Rechtschaffenheit; Cino von
Pistoja die Liebe; dessen Freund die Rechtschaffenheit.

Bertram nämlich sagt:

Non pos nul dat con cantar no exparia.

Arnald:

Laura amara fal bruol brancum danur.

Gerhard:

Più solaz reveillar, que per trop
endormir.

Cino:

Degno son io che mora.

Sein Freund:

Doglia mi reca nella cuore ardire.

Die Waffen aber finde ich, daß kein
Italer besungen habe. Nachdem dies eingesehen ist, wird klar werden,
was in der erhabensten Volkssprache zu besingen sei.

Drittes Kapitel.

Es unterscheidet, in welchen Weisen die
in der Volkssprache Versemachenden dichten.

Jetzt aber wollen wir uns anschicken,
sorgsam zu untersuchen, auf welche Weise wir Dasjenige verknüpfen
sollen, was einer solchen Volkssprache würdig ist. Indem wir also
die Weise angeben wollen, wodurch dies würdig ist, verknüpft zu
werden, sagen wir zuerst, daß wir daran erinnern müssen, daß die
in der Volkssprache Dichtenden ihre Gedichte auf viele Weise
darstellen, Einige in Kanzonen, Einige in Ballaten, Einige in
Sonetten, Einige in anderen gesetzlosen und regellosen Weisen, wie
unten gezeigt werden wird. Von diesen Weise halten wir die der
Kanzone für die trefflichste; daher, wenn das Trefflichste des
Trefflichsten würdig ist, wie oben bewiesen ist, so ist Das, was der
trefflichsten Volkssprache, auch der trefflichsten Weise würdig und
daher in Kanzonen zu behandeln, daß aber die Weise der Kanzonen eine
solche sei, wie gesagt ist, kann mit mehreren Gründen erwogen
werden. Der erste ist nun, daß, da alle Verse, die gemacht werden,
Gesang sind, die Kanzonen allein diese Benennung sich erworben haben,
was nie ohne uralte Voraussicht geschah. Ferner, was an sich
Dasjenige bewirkt, wozu es gemacht ist, scheint edler zu sein, als
was des Aeußerlichen bedarf; aber die Kanzonen bewirken durch sich
Alles, was sie sollen, was die Ballaten nicht thun (denn sie bedürfen
der Tonkundigen, für welche sie gemacht sind): hieraus folgt, daß
die Kanzonen für edler als die Ballaten zu halten sind, und folglich
die Weise der andern an Adel übertreffen, wie denn Niemand zweifeln
möchte, daß die Ballaten an Adel der Weise über den Sonetten
stehen. Ueberdies scheinen die Dinge edler zu sein, welche ihrem
Verfertiger mehr Ehre machen; aber die Kanzonen machen ihren
Verfertigern mehr Ehre als die Ballaten, folglich sind sie edler, und
folglich ist ihre Weise die edelste von allen andern. Ueberdies
werden die Dinge, welche die edelsten sind, am liebsten aufbewahrt;
aber unter Dem, was gesungen ist, werden die Kanzonen am liebsten
aufbewahrt, wie Denen bekannt ist, die sich mit Büchern
beschäftigen; also sind die Kanzonen die edelsten und folglich ihre
Weise die edelste. Ferner ist unter den Kunstsachen die die edelste,
welche die ganze Kunst begreift; da nun Das, was gesungen wird,
Kunstsache ist, und nur in den Kanzonen die ganze Kunst inbegriffen
wird, sind die Kanzonen am edelsten, und so ist ihre Weise die
edelste von allen. Daß aber die ganze Kunst des poetischen Gesanges
in den Kanzonen zusammengefaßt wird, ergibt sich daraus, daß Alles,
was sich an Kunst findet, in ihnen ist, aber nicht umgekehrt. Dies
Merkzeichen aber Dessen, was wir sagen, liegt klar vor Augen; denn
was aus den Kuppen der erlauchten Dichterhäupter auf ihre Lippen
hervorströmte, wird blos in den Kanzonen gefunden. Deswegen erhellt
für das Vorhaben, daß Dasjenige, was der erhabensten Volkssprache
würdig ist, in Kanzonen behandelt werden muß.

Viertes Kapitel.

Von der Weise der Kanzonen und von der
Schreibart Derjenigen, welche Gedichte machen.

Nachdem wir entwirrend bewiesen haben,
wer die der Hofvolkssprache Würdigen sind und welche Gegenstände,
desgleichen welche Weise wir so großer Ehre würdig halten, daß sie
allein der erhabensten Volkssprache zukomme, wollen wir, ehe wir zu
Anderem gehen, die Weise der Kanzonen, welche Viele mehr durch Zufall
als mit Kunst zu gebrauchen scheinen, uns enthüllen, und, die bisher
nur zufällig angenommen ist, die Werkstätte jener Kunst entriegeln,
die Weise der Ballaten und Sonette übergehend, weil wir diese zu
erklären denken im vierten Theile dieses Werkes, wenn wir von der
mittleren Volkssprache handeln werden. Indem wir also zurückblicken
auf Das, was gesagt ist, erinnern wir uns, Diejenigen, welche in der
Volkssprache Verse machen, mehrmals Dichter genannt zu haben, was wir
ohne Zweifel mit Grund herauszustoßen uns vorgenommen haben, weil
sie allerdings Dichter sind, wenn wir die Dichtkunst recht
betrachten, welche nichts Anderes ist, als eine rednerische Dichtung
in Töne gesetzt. Sie unterscheiden sich jedoch von den großen
Dichtern, das heißt, den geregelten, weil diese in langer Rede und
regelmäßiger Kunst gedichtet haben, jene aber zufällig, wie gesagt
ist. Daher kommt es, daß, je näher jenen unser Nachahmung kommt,
wir um so richtiger dichten. Daher müssen wir, etwas Gelehrsamkeit
auf unser Werk verwendend, ihren poetischen Lehren nacheifern. Vor
Allem demnach sagen wir, daß ein Jeder ein gemäßes Gewicht von
Stoff auf seine Schultern nehmen müsse, damit nicht etwa die zu sehr
beschwerte Kraft der Schultern in den Schmutz niedergezogen werde.
Dies ist es, was unser Meister Horatius empfiehlt, wenn er im Anfang
der Poetik sagt:

Wählt die Materie wohl, die gleich sei
eueren Kräften, Schreibende.

Sodann müssen wir bei den Dingen,
welche zu sagen vorkommen, Sonderung anwenden, ob sie tragisch oder
komisch oder elegisch zu singen sind. Für die Tragödie nehmen wir
die höhere Schreibart an, für die Komödie die niedere; unter
Elegie verstehen wir die Schreibart der Unglücklichen. Wenn tragisch
etwas zu singen scheint, muß man die erlauchte Volkssprache anwenden
und folglich eine Kanzone verfassen. Wenn aber komisch, dann werde
bisweilen die mittlere, bisweilen die niedere Volkssprache genommen,
und die Sonderung derselben schieben wir auf im vierten Buche dieses
Werkes zu zeigen. Wenn aber elegisch, müssen wir blos die niedere
nehmen. Aber übergehen wir die andern und behandeln wir jetzt, wie
es gemäß ist, blos die tragische Schreibart. Der tragischen
Schreibart scheinen wir uns aber dann zu bedienen, wenn mit dem
Ernste des Inhaltes sowol die Hoheit der Verse als die Erhabenheit
der Verbindung und die Trefflichkeit der Ausdrücke sich verbindet.
Aber weil, wenn wir uns wohl erinnern, schon bewiesen ist, daß das
Höchste des Höchsten würdig sei, und jede Schreibart, welche wir
die tragische nennen, die höchste der Schreibarten zu sein scheint,
so sind diejenigen Dinge, welche wir als am höchsten des Gesanges
würdige bezeichnet haben, nur in dieser Schreibart zu singen,
nämlich Wohlergehen, Liebe und Tugend, und Dasjenige, was wir in
dieser Rücksicht erfaßt haben, insofern es durch nichts Zufälliges
herabgesetzt wird. Möge sich also Jeder in Acht nehmen und Dasjenige
unterscheiden, was wir sagen, und wenn er diese drei Dinge rein zu
singen beabsichtigt, oder Dasjenige, was hierauf bezüglich grade und
rein verfolgt, so möge er nach einem Trunk aus dem Helikon und
nachdem er die Saiten stimmte, beherzt das Plektrum ergreifen und
nach Sitte beginnen. Aber eine Kanzone, und diese Sonderung, wie sie
geziemt, zu machen, das ist die Arbeit, das ist die Mühe, weil es
nimmer ohne Anstrengung der Fähigkeit und ohne Emsigkeit in der
Kunst und ohne Fertigkeit der Kenntniß geschehen kann. Und das sind
Diejenigen, welche der Dichter im sechsten Buch der Aeneis die
Lieblinge der Gottheit nennt, obgleich er bildlich spricht. Und daher
erkenne sich die Thorheit Derjenigen, welche, von Kunst und
Wissenschaft entblößt, blos auf ihre Fähigkeit vertrauend, das
Höchste auf die höchste Art zu singen hervorstürzen, und mögen
sie von solchem Dünkel abstehen, und wenn sie aus natürlicher
Trägheit Gänse sind, nicht dem gestirnanstrebenden Adler nachahmen.

Unter geregelten Dichtern sind die
griechischen und lateinischen zu verstehen.

Fünftes Kapitel.

Von der Abfassung der Verse und deren
Mannichfaltigkeit vermöge der Sylben.

Von der Wichtigkeit des Inhaltes
glauben wir entweder hinlänglich gesprochen zu haben, oder doch
Alles, was für unser Werk erforderlich ist. Daher eilen wir zur
Hoheit der Verse, wobei zu wissen ist, daß unsere Vorgänger sich
verschiedener Versarten bedient haben in ihren Kanzonen, was auch die
Neuern thun; aber wir finden, daß Keiner bis jetzt die elfsylbige
Zahl überschritten habe, noch unter die dreisylbige hinabgestiegen
sei. Und wenn gleich des dreisylbigen Verses und des elfsylbigen und
aller dazwischen liegenden die lateinischen Dichter sich bedient
haben, so wird doch der siebensylbige und elfsylbige mehr gebraucht,
und nach diesen der dreisylbigen vorzüglich; von welchen allen der
elfsylbige der stolzeste zu sein scheint, sowol wegen der Zeitdauer
als wegen des Umfanges für den Sinn, die Verbindung und die Wörter,
von welchen allen die Darlegung sich mehr in jenem vervielfacht, wie
offenbar einleuchtet; denn wo immer die gewichtigen Dinge sich
vermehren, da auch das Gewicht. Und dies scheinen alle Lehrer erwogen
zu haben, indem sie ihre Kanzonen mit jenem anheben, wie Gerhard von
Bornello:

Ara ausirem encabalitz cantarz.

Dieser Vers ist, wenn er gleich
zehnsilbig scheint, der Wahrheit gemäß elfsylbig, denn die beiden
letzten Consonanten gehören nicht zur vorhergehenden Sylbe. Und wenn
sie gleich keinen eigenen Vokal haben, verlieren sie die Kraft der
Sylbe doch nicht. Das Zeichen aber ist, daß der Rhythmus daselbst
durch Einen Vokal vollendet wird, was nicht sein könnte, wenn nicht
durch die Kraft eines darunter verstandenen zweiten.

Der König von Navarra:

De fin Amor si vient sen et bontè,

wo es sich zeigen wird, daß, wenn der
Accent und dessen Ursache erwogen wird, der Vers elfsylbig sei.

Guido Guinizelli:

Al cuor gentil ripara sempre Amore.

Der Richter di Colonna von
Messina:

Amor, che longiamente m’hai menato.

Rinaldo von Aquino:

Per fin Amore vo lietamente.

Cino von Pistoja:

Non spero che giammai per mia salute.

Dessen Freund:

Amor, che muovi tua virtù dal cielo.

Und wenn gleich dieser elfsylbige Vers,
wie er es werth ist, der berühmteste von allen zu sein scheint, so
scheint er doch, wenn er mit dem siebensylbigen in ein gewisses
Bündniß tritt, sofern er nur den Vorrang behauptet, noch herrlicher
und höher sich zu erheben; aber dies mag weiterhin zur Erklärung
verbleiben. Und wir sagen, daß der siebensylbige auf den folge,
welcher der gebräuchlichste ist. Nach ihm ordnen wir den
fünfsylbigen und endlich den dreisylbigen. Der neunsylbige aber,
weil er der dreifache dreisylbige schien, war entweder nie in Ehren
oder kam wegen Verachtung außer Gebrauch: die gleichsylbigen aber
wenden wir nicht an wegen ihrer Rauhigkeit oder doch selten; denn sie
behalten die Natur ihrer Zahlen, welche den ungleichen Zahlen, wie
der Stoff der Form, nachstehen. Und so scheint denn, das
Vorhergesagte zusammengefaßt, der elfsylbige Vers der stolzeste zu
sein, und dies ist es, was wir suchten. Nun bleibt uns aber übrig,
die erhabenen Volksverbindungen zu untersuchen und die gipfligen
Worte, und dann erst, wenn Stäbe und Seile bereit liegen, werden wir
Anweisung geben, wie das verheißene Gebund, das heißt, die Kanzone,
geknüpft werden müsse.

Sechstes Kapitel.

Von der Satzverbindung oder von der
regelmäßigen Verknüpfung der Wörter, deren man sich in den
Kanzonen zu bedienen hat.

Da unsere Absicht bei der erlauchten
Volkssprache verweilt, welche die edelste von allen ist, und wir Das
ausgewählt haben, was würdig ist in ihr besungen zu werden, nämlich
drei höchst edle Stoffe, wie oben beigebracht ist, und wir die
Kanzonenweise für jene ausgewählt haben als die höchste von allen
Weisen, und um diese vollkommener lehren zu können, Einiges schon
vorbereitet haben, nämlich Schreibart und Vers: so wollen wir jetzt
von der Konstruction handeln. Nun ist zu wissen, daß wir
Konstruction nennen eine geregelte Verbindung der Wörter wie:
Aristoteles philosophirte zur Zeit Alexander’s. Denn hier sind fünf
Wörter durch eine Regel verbunden und machen einen Satz. Hier ist
nun zuvörderst zu bemerken, daß eine Satzverbindung gemäß, eine
andere aber ungemäß ist; und weil, wenn wir des Anfanges unserer
Abschweifung wohl eingedenk sind, wir nur dem Höchsten nachjagen, so
findet die ungemäße bei unserer Jagd keinen Platz, weil sie einen
unteren Grad des Werthes einnimmt. Mögen sich also schämen, schämen
die Unwissenden, es nur sofort zu wagen und auf Kanzonen
loszustürmen, welche wir nicht anders verlachen als den Blinden, der
über Farben urtheilt. Die gemäße ist es, wie es scheint, welche
wir suchen; aber nicht geringere Schwierigkeit macht die
Unterscheidung, ehe wir die, welche wir suchen, erreichen, nämlich
die feinste. Denn es gibt mehrere Stufen der Satzverbindungen,
nämlich die geschmacklose, welche für gröbere Leute ist, wie:
Petrus liebt die Frau Berta sehr. Es gibt eine geschmackvolle, welche
die der strengeren Schüler oder der Lehrer ist, wie: Mich verdrießen
Alle; aber größeres Mitleid hab ich mit allen Denen, welche, in der
Verbannung verschmachtend, das Vaterland nur im Traum wiedersehen. Es
gibt auch eine geschmackvolle und anmuthige, welche Derer ist, die
die Rhetorik von oben abschöpfen, wie: Die löbliche Besonnenheit
des Markgrafen von Este, und seine vorbereitete Prachtliebe machen
ihn bei Allen beliebt. Es gibt auch eine geschmackvolle und
anmuthige, ja und erhabene, welche der erlauchten Dictatoren ist,
wie: Nach Hinauswerfung des größten Theils der Blumen aus deinem
Schoße, Florentia, ging Totila spät vergebens nach Trinakrien.
Diese Stufe der Konstruction nennen wir die trefflichste, und diese
ist es, welche wir suchen, wir dem Höchsten nachjagen, wie gesagt
ist. Aus dieser allein findet man die erlauchten Kanzonen gefügt,
wie:

Gerhard:

Si per mes sobretes non fes.

Der König von Navarra:

Redamor que in mon cor repaire.

Folchetto aus Marseille:

Tan m’abellis l’amoros pensamen.

Arnaldo Daniello:

Solvi, che sai, lo sobraffan che sorz.

Amerigo de Belimi:

Nuls (hom) bon non pot complir adrectamen.

Amerigo de Peculiano:

Si com’ l’arbres che per sombre
carcar. (cercar; buscar

Guido Guinicelli:

Tegno di folle impresa allo ver dire.

Guido Cavalcanti:

Poi che di doglia cuor convien ch’io
porti.

Cino von Pistoja:

Avegna ch’io maggia più per tempo.

Dessen Freund:

Amor, che nella mente mi ragiona.

Wundere dich nicht, Leser, über so
viele ins Gedächtniß zurückgerufene Verfasser. Denn wir können
die Konstruction, welche wir die höchste nannten, nicht anders als
durch Beispiele dieser Art anzeigen. Und vielleicht würde es
nützlich sein, um uns an diese zu gewöhnen, die regelmäßigen
Dichter nachzusehen, nämlich den Virgil, den Ovid in den
Metamorphosen, den Statius und Lukan, sowie Andere, welche sich der
höchsten Prosa bedienten, wie Tullius, Livius, Plinius, Frontinus,
Paulus Orosius, und viele Andere, welche die befreundete Einsamkeit
uns zu besuchen einladet. Mögen deswegen die Anhänger der
Unwissenheit ablassen, den Guido von Arezzo und einige Andere zu
erheben, welche sich nie entwöhnten in Worten und Satzverbindungen
sich dem Pöbel gleichzustellen.

Siebentes Kapitel.

Welche Wörter zu gebrauchen sind, und
welche im Versmaß der Volkssprache nicht vorkommen dürfen.

Die Wörter, welche würdig sind, auf
großartige Weise in der obgenannten Schreibart zu stehen, fordert
die Reihenfolge des Geschäftes unsers Fortschrittes zu erklären
auf. Wir bezeugen demnach beginnend, daß es ein nicht geringes Werk
der Vernunft sei, die Auswahl der Wörter zu treffen, weil wir sehen,
daß hinsichtlich des Stoffes derselben dies mehrfach geschehen
könne. Denn einige derselben finden wir kindisch, einige weibisch,
einige männlich, und von diesen einige wild, einige städtisch, und
von denen, welche wir städtisch nennen, einige dicht und schlüpfrig,
einige rauh und struppig, unter welchen die vollen und sträubigen
diejenigen sind, welche wir großartig nennen, die schlüpfrigen aber
und struppigen die nennen, welche überhängig tönen, wie unter den
großen Werken einige Werke von Seelenhoheit, andere von Rauch sind,
wo, wenn gleich oberflächlich ein gewisses Aufsteigen bemerkt wird,
doch, sobald die Grenzlinie der Kraft überschritten ist, mit gutem
Grunde nicht ein Aufsteigen, sondern ein Sturz durch tiefe Abhänge
sich zeigt. Beachte also, o Leser, wie sehr du um erlesene Worte zu
sammeln des Siebes bedarfst; denn wenn du die erlauchte Volkssprache
betrachtest, deren sich die Dichter der Volkssprache tragisch
bedienen müssen, wie oben gesagt ist, welche wir zu unterweisen
beabsichtigen, so wirst du sorgen müssen, daß nur die edelsten
Wörter in deinem Siebe zurückbleiben, unter welche du weder
kindisch wegen ihrer Einfalt, wie Mamma und Babbo, Mate und Pate,
noch weibische wegen ihrer Weichheit, wie dolciada und placevole,
noch wilde wegen Rauhheit, wie gregia und andere, noch feine,
schlüpfrige und struppige, wie femina und corpo, keineswegs wirst
aufnehmen dürfen. Denn blos die vollen und sträubigen wirst du
unter den städtischen dir verbleiben sehen, welche die edelsten sind
und Theile der erlauchten Volkssprache; und voll nennen wir
diejenigen, welche dreisylbig sind, oder der Dreisylbigkeit ganz nahe
kommen, ohne Hauch, ohne scharfe Betonung oder Circumflex, ohne
doppeltes z oder x, ohne Verdoppelung von zwei flüssigen Buchstaben,
oder Position, unmittelbar nach dem stummen behauenen, als ob sie den
Sprechenden mit gewisser Lieblichkeit zurücklassen, wie Amore,
donna, disio, virtute, donare, letizia, salute, securitate, difesa.
Sträubig nennen wir ferner alle Wörter außer diesen, welche
entweder nöthig oder schmückend zu sein scheinen für die erlauchte
Volkssprache. Und zwar nennen wir nothwendig die, welche wir nicht
vertauschen dürfen, wie einige Einsylbler, wie si, vo, me, te, se,
a, e, i, o, u, die Interjektionen und viele andere. Schmückend aber
nennen wir alle Vielsylbler, welche, vermischt mit den vollen
Wörtern, eine schöne Harmonie der Verbindung bewirken, wenn sie
gleich Rauhheit des Hauches und der Betonung und der doppelten und
flüssigen Buchstaben und Weitschweifigkeit haben, wie terra, onore,
speranza, gravitate, alleviato, impossibilitate, benavventuratissimo,
avventuratissimamente, disavventuratissimamente,
sovramagnificentissimamente, welches elfsylbig ist. Man könnte ein
Wort von noch mehreren Sylben finden, oder ein Zeitwort, aber weil es
den Umfang aller unserer Verse überschreitet, scheint es der
gegenwärtigen Betrachtung nicht bequem, wie onorificabilitudinitate,
welches zwölf Sylben ausmacht in der Volkssprache und in der
Grammatik dreizehn in zwei obliquen. Wie aber die sträubigen dieser
Art mit den vollen zu verbinden sind in den Versmaßen, wollen wir
der späteren Untersuchung überlassen; und was von der Gipflichkeit
der Wörter gesagt ist, mag einem freundlichen Nachdenken genügen.

Achtes Kapitel.

Was eine Kanzone sei, und daß sie in
mehreren Weisen sich abändert.

Nachdem die Stäbe und die Seile für
das Gebund zurechtgelegt sind, drängt nun die Zeit, das Bündel zu
schnüren; aber weil die Kenntniß eines Geschäftes dem Geschäfte
vorangehen muß, gleichwie das Zeichen vor der Absendung des Pfeils
oder Wurfspießes, so wollen wir zuerst und hauptsächlich sehen, was
jenes Gebund sei, das wir zu binden beabsichtigen. Dies Gebund ist
aber, wenn wir alles vorher Erwähnten uns recht erinnern, die
Kanzone. Daher laßt uns sehen, was die Kanzone sei, und was wir
darunter verstehen, wenn wir Kanzone sagen. Nun ist die Kanzone nach
der wahren Bedeutung des Wortes die Handlung des Singens selbst, oder
der Zustand, sowie die Lesung Zustand oder Handlung des Lesens ist.
Aber erklären wir nun Das, was gesagt ist, ob wir nun hier Kanzone
nehmen in dem Sinne der Handlung oder des Zustandes. Hierüber ist zu
bemerken, daß Kanzone doppelt genommen werden kann, theils als
Etwas, das von seinem Urheber verfertigt wird, und dann ist sie
Handlung, und auf diese Weise sagt Virgil im Anfang der Aeneide:

Arma virumque cano;

theils insofern Das, was gefertigt
wird, vorgetragen wird, sei es von dem Urheber, sei es von irgend
einem Andern, mag es mit einer Gesangsweise vorgetragen werden oder
nicht, und so ist es Zustand. Denn dann wird sie bewirkt, jetzt aber
scheint sie auf einen Andern zu wirken, und so ist sie dann Jemandes
Handlung, jetzt aber scheint sie Zustand zu sein. Und weil sie eher
bewirkt wird, als sie wirkt, scheint sie deswegen bei weitem mehr
danach benannt zu werden, daß sie bewirkt wird, und Jemandes
Handlung ist, als nach Dem, was sie auf Andere wirft. Ein Zeichen
dessen ist aber, daß wir niemals sagen: dies ist die Kanzone des
Petrus deswegen, weil er sie vorträgt, sondern deswegen, weil er sie
gemacht hat. Ueberdies ist zu bedenken, ob man unter Kanzone versteht
die Fertigung der in Harmonie gebrachten Worte, oder die Gesangsweise
selbst: worauf wir sagen, daß die Gesangsweise niemals Kanzone
genannt wird, sondern Ton, oder Note, oder Melos. Denn kein
Trompeter, kein Orgelspieler, kein Citherspieler nennt seine Melodie
Kanzone, außer insofern sie einer Kanzone vermält ist; sondern
Diejenigen, welche die Worte zusammenreihen, nennen ihre Worte
Kanzonen; und dergleichen Worte nennen wir auch Kanzonen, wenn sie
sich aufgezeichnet finden ohne einen, der sie vorträgt. Und deshalb
scheint eine Kanzone nichts Anderes zu sein als die vollständige
Handlung Dessen, der die für den Gesang geordneten Worte verfaßt.
Daher werden wir sowol die Kanzonen, welche wir jetzt behandeln, als
auch Ballaten und Sonette und in der Volkssprache und auf geregelte
Weise geordnete Worte jeder Art Kanzonen nennen. Aber da wir blos
Werke in der Volkssprache untersuchen mit Uebergehung der geregelten,
sagen wir, daß eins von den Gedichten in der Volkssprache das
höchste sei, welches wir vorzugsweise Kanzone nennen, daß aber die
Kanzone etwas Höchstes sei, ist im dritten Kapitel dieses Buches
bewiesen. Aber da Das, was definirt ist, mehreren gemein scheint,
wollen wir dies schon definirte allgemeine Wort aufnehmen, und blos
nach einigen Unterschieden Das, was wir suchen, unterscheiden. So
sagen wir denn, daß die Kanzone, welche wir vorhaben, sofern wir sie
vorzugsweise so nennen, eine tragische Verbindung gleicher Stanzen
ist ohne Responsorium von Einem Inhalt, wie wir gezeigt haben, wenn
wir sagen:

Donne, che avete intelletto di Amore.

Und so erhellt, was Kanzone sei, und
wie dies Wort allgemein genommen wird, und wie wir sie vorzugsweise
nennen; hinlänglich scheint auch zu erhellen, was wir verstehen,
wenn wir Kanzone sagen, und folglich, was jenes Gebund sei, welches
wir zu binden unternahmen. Was wir aber so nennen, ist eine tragische
Verbindung; denn wenn diese Verbindung auf komische Weise geschieht,
nennen wir sie verringernd Kantilene, wovon wir im vierten Buche
dieses Werkes zu handeln denken.

Neuntes Kapitel.

Welches die Haupttheile der Kanzone
sind, und daß die Stanze der Haupttheil der Kanzone ist.

Weil, wie gesagt ist, die Kanzone eine
Verbindung von Stanzen ist, so kann man, wenn man nicht weiß, was
Stanze sei, natürlich auch nicht wissen, was Kanzone sei; denn aus
der Kenntniß des Definirenden entspringt die Kenntniß des
Definirten, und so ist demzufolge von der Stanze zu handeln, daß wir
nämlich untersuchen, was sie sei, und was wir darunter verstehen
wollen. Es ist demnach zu wissen, daß dies Wort blos rücksichtlich
der Kunst erfunden ist, nämlich daß Das, worin die ganze Kunst der
Kanzone bestände, Stanze genannt würde, das heißt, eine geräumige
Wohnstätte oder Behältniß der ganzen Kunst. Denn gleichwie die
Stanze der Schooß des ganzen Inhaltes ist, so trägt die Stanze die
ganze Kunst in ihrem Schooß, und es ist den folgenden nicht erlaubt,
sich einige Kunst zuzuschreiben, sondern sich blos mit der Kunst der
ersten zu bekleiden, woraus hervorgeht, daß sie selbst, von welcher
wir sprechen, eine Begrenzung oder eine Vereinigung alles Dessen ist,
was die Kanzone von Kunst empfängt; nach welcher Erläuterung die
Beschreibung, welche wir suchen, sich ergeben wird. Die ganze Kunst
der Kanzone scheint nun in drei Stücken zu bestehen, zuerst in der
Eintheilung des Gesanges, sodann in der Beschaffenheit der Theile,
und drittens in der Zahl der Verse und der Sylben: des Reims aber
erwähnten wir nicht, weil er nicht zur eigenthümlichen Kunst der
Kanzone gehört. Denn es ist erlaubt, in jeder Stanze die Reime zu
erneuern und sie zu wiederholen nach Gutdünken, was, wenn der Reim
zur eigenthümlichen Kunst der Kanzone gehörte, nicht erlaubt sein
würde, wie gesagt ist. Wenn es aber nöthig ist, etwas vom Reim zu
erwähnen, so wird, was von Kunst daran ist, da vorkommen, wo wir von
der Beschaffenheit der Theile sprechen; daher können wir hier aus
dem Vorhergehenden schließen und definirend sagen, die Stanze sei
eine mit gewissem Gesang und gewisser Beschaffenheit begrenzte
Zusammenfügung von Versen und Sylben.

Zehntes Kapitel.

Was der Gesang der Stanze sei, und daß
die Stanze sich in mehreren Weisen verändert in der Kanzone.

Wissend nun, daß der Mensch ein
vernünftiges Geschöpf ist, und daß die Seele verständig und der
Körper thierisch ist, und nicht wissend, was diese Seele und was
dieser Körper sei, können wir eine vollkommene Kenntniß des
Menschen nicht haben, weil die vollkommene Kenntniß jeder Sache bis
an die letzten Bestandtheile hinreicht, wie der Lehrer der Weisen im
Anfange der Physik bezeugt. Um nun die Kenntniß der Kanzone zu
erlangen, wonach wir trachten, untersuchen wir kürzlich diejenigen
Dinge, welche das sie Definirende definiren, und erforschen zuerst
den Gesang, sodann die Beschaffenheit und endlich Verse und Sylben.
So sagen wir denn, daß jede Stanze gefügt ist, um eine gewisse
Tonweise aufzunehmen; aber in der Art scheint Verschiedenheit
stattzufinden, weil einige eine einzige fortlaufende Tonweise haben,
bis zu Ende fortschreitend, das heißt, ohne Wiederholung irgend
einer Modulation und ohne Theilung, und Theilung nennen wir eine
Ausweichung von einer Tonweise in die andere; diese nennen wir Volta,
wenn wir mit dem Haufen reden; und einer Stanze von dieser Art hat
sich Arnaldo Daniello fast in allen Kanzonen bedient; und wir sind
ihm gefolgt, wenn wir gesagt haben:

Al poco giorno, ed al gran cerchio
d’ombra.

Es gibt aber Einige, welche die
Theilung zulassen, und Theilung kann Dem gemäß, was wir so nennen,
nicht anders stattfinden, als wenn Wiederholung Einer Tonweise
geschieht, entweder vor der Theilung oder nachher, oder von beiden
Seiten her; wenn vor der Theilung die Wiederholung geschieht, sagen
wir, daß die Stanze zwei Füße habe, und zwei Füße muß sie
haben, obgleich es bisweilen drei werden, jedoch sehr selten; wenn
die Wiederholung nach der Theilung geschieht, so sagen wir, daß die
Stanze Volti habe; wenn vorher die Wiederholung nicht geschieht, so
sagen wir, daß die Stanze eine Stirn habe; wenn sie nachher nicht
geschieht, so sagen wir, daß sie eine Sirima habe oder einen
Schweif. Siehe nun, Leser, welche Freiheit Denen gegeben ist, welche
Kanzonen dichten, und betrachte, weshalb der Gebrauch sich eine so
weite Willkür genommen habe, und wenn dich das Nachdenken auf
rechtem Pfade leitet, so wirst du finden, daß Das, was wir sagen,
blos vermöge der Würde des Ansehens bewilligt sei. Hieraus kann
hinlänglich erhellen, wie die Kunst der Kanzone in der Theilung des
Gesanges besteht; und deshalb wollen wir zu der Beschaffenheit
fortschreiten.

Das heißt: ohne Wiederholung und ohne
Theilung. Die von Dante, welche gleich darauf angeführt ist, gehört
zu den Sestinen.

D. h. Glieder des Gegensatzes. Siehe
Lehrbuch der italischen Sprache von Adolf Wagner. S. 269.

Ich habe hier mit Wagner Volti gesagt
statt Verse (versus hat der Text), um Verwirrung zu vermeiden, da ich
carmen durch Verse übersetze. Volti drückt gleichfalls die Glieder
des Gegensatzes aus.

Anmerkungen (Wikisource)

Dante: Al poco giorno ed al gran
cerchio d’ombra.

https://de.wikisource.org/wiki/Al_poco_giorno_ed_al_gran_cerchio_d%27ombra

Zum kurzen Tag und großen Kreis der
Schatten

Gelangt’ ich, ach! und Weiß liegt
auf den Hügeln,

Wo längst verblich die Farbe frischer
Kräuter;

Doch mein Verlangen hört nich auf zu
grünen,

So ist’s verwurzelt in dem harten
Steine,

Der redet und empfindet wie ein
Mädchen.

So ähnlich ja erscheint dies junge
Mädchen,

Durch Frost erstarrt ganz wie der
Schnee im Schatten,

Nicht anders wirkt auf sie, denn auf
die Steine,

Die süße Zeit, die Wärme bringt den
Hügeln

Und ihrer Decke Weiß läßt neu
ergrünen

Und breitet Blümlein rings und würz’ge
Kräuter.

Wenn ihr das Haupt umkränzen blüh’nde
Kräuter,

So läßt sie uns vergessen andre
Mädchen,

Es mischt der Locken Gold sich mit dem
Grünen,

Daß Minne ein sich nistet in den
Schatten.

Gefangen bin ich zwischen kleinen
Hügeln,

Viel fester als durch Kalk der
Mauersteine.

Mehr Kraft besitzt ihr Reiz als edle
Steine.

Die Wunde, die er schlägt, heilt nicht
durch Kräuter.

Ich irrt’ umher in Feldern und auf
Hügeln,

Um zu entrinnen einem solchen Mädchen.

Vor ihrem Licht gewährt kein Berg mir
Schatten,

Kein Mauerwerk und keines Baumes
Grünen.

Einst sah ich sie, so schön geschmückt
mit grünen

Gewändern, daß sie Lieb’ erweckt im
Steine,

Wie ich sie hege selbst für ihren
Schatten.

Ich warb auf einer schönen Flur voll
Kräuter

Um sie, die lieblichste von allen
Mädchen,

Umschlossen ringsum von erhabnen
Hügeln.

Doch eher kehrten Flüsse zu den Hügeln

Zurück, als dieser Baum – in zartem
Grünen

Entbrennte, wie sonst wohl ein schönes
Mädchen,

Für mich, der gern ich schlief auf
einem Steine

Mein Leben lang und weidete die
Kräuter,

Dürft’ ich nur sehen ihrer Kleider
Schatten.

Ob sich von Hügeln – breiten tiefre
Schatten,

So birgt im Grünen – doch dies junge
Mädchen

Sich wie die Steine – wohl im Schutz
der Kräuter.

Elftes Kapitel.

Von der Beschaffenheit der Stanze, von
der Zahl der Füße und von der Verschiedenheit der Verse, welche in
der Dichtung zu gebrauchen sind.

Es scheint uns der Theil, welchen wir
Beschaffenheit nennen, der bedeutendste in Rücksicht der Kunst zu
sein; denn er betrifft die Eintheilung des Gesanges und das Gewebe
der Verse und das Verhältniß der Reime, weswegen dieser der
genauesten Behandlung zu bedürfen scheint. Beginnend demnach sagen
wir, daß die Stirn mit den Volten und die Füße mit der Sirima oder
Schweif, und die Füße mit den Volten in der Stanze sich auf
verschiedene Weise verhalten können: denn bisweilen überschreitet
die Stirn die Volten an Sylben und Versen, oder kann sie
überschreiten, und wir sagen, kann, weil wir diese Beschaffenheit
noch nicht gesehen haben, bisweilen kann sie sie an Versen
überschreiten und an Sylben übertroffen werden, sodaß, wenn die
Stirn fünf Maße hätte, und jede Volte zwei Maße, sowol die Maße
der Stirn siebensylbig und die Volti elfsylbig wären. Bisweilen
übertreffen die Volti die Stirn an Sylben und Versen, wie in der,
welche wir dichteten:

Traggemi della mente Amor la stiva.

Diese viermaßige Stirn war aus drei
Hendekasyllaben und Einem Heptasyllaben zusammengesetzt; denn sie
konnte nicht in Füße getheilt werden, da die Gleichheit der Verse
und der Sylben gefordert wird in den Füßen unter sich und in den
Volten unter sich; und wie wir sagen, daß die Volti die Stirn
übertreffen an Versen und Füßen, so kann gesagt werden, daß die
Stirn in diesen beiden Stücken die Volti übertreffen könne, wie
wenn jede von den Volten aus zwei siebensylbigen Maßen und die
fünfmaßige Stirn aus zwei Hendekasyllaben und drei Heptasyllaben
zusammengesetzt wäre. Bisweilen aber übertreffen auch die Füße
den Schweif an Versen und Sylben, wie in jener, welche wir gedichtet
haben:

Amor che muovi tua virtù dal cielo,

Bisweilen werden die Füße von der
Sirima übertroffen, wie in der, welche wir gemacht haben:

Donna pietosa, e di novella etate.

Und wie wir gesagt haben, daß die
Stirn an Versen übertreffen und an Sylben übertroffen werden könne,
und umgekehrt, so sagen wir dies von der Sirima. Auch die Füße
übertreffen die Volti an Zahl und werden von ihnen übertroffen:
denn es können in der Stanze drei Füße und zwei Volti sein, und
drei Volti und zwei Füße, und auch durch diese Zahl werden wir
nicht begrenzt, daß es nicht erlaubt wäre, mehrere sowol Füße als
Volti zugleich zusammenzusetzen. Und was wir von dem Übertreffen der
Verse und Sylben gesagt haben unter Anderem, das sagen wir nun auch
von den Füßen und Volten; denn auf dieselbe Weise können sie
übertroffen werden und übertreffen. Und es ist nicht zu übersehen,
daß wir unter Füßen etwas Anderes als die regelmäßigen Dichter
verstehen; denn jene sagen, daß der Vers aus Füßen, wir aber, daß
der Fuß aus Versen bestehe, wie dies deutlich genug erhellt. Auch
ist nicht zu übersehen, weil wir es zum zweiten Mal bekräftigen, daß
die Füße nothwendigerweise einer von dem andern die Gleichheit der
Verse und der Sylben annehmen, weil sonst nicht eine Wiederholung des
Gesanges geschehen könnte. Und wir fügen hinzu, daß dasselbe bei
den Volten zu beachten sei.

Maß ist Vers, Zeile.

Zwölftes Kapitel.

Aus welchen Versen die Stanzen
bestehen, und von der Anzahl der Sylben in den Versen.

Es gibt auch, wie oben gesagt ist, eine
gewisse Beschaffenheit, welche wir bei der Abfassung der Verse in
Betrachtung ziehen müssen, und daher wollen wir hierauf Rücksicht
nehmen, indem wir demnach wiederholen, was wir oben von den Versen
sagten. In unserm Gebrauche scheinen hauptsächlich drei Verse den
Vorrang der Anwendung zu haben, nämlich der elfsylbige, der
siebensylbige und der fünfsylbige, und diese, haben wir hinzugefügt,
müßten vorzugsweise gewählt werden. Von diesen verdient durchaus,
wenn wir tragisch dichten wollen, der siebensylbige wegen einer
gewissen Trefflichkeit das Vorrecht bei der Abfassung. Denn es gibt
eine Stanze, welche blos in elfsylbigen Versen abgefaßt zu werden
pflegt, wie die des Guido von Florenz:

Donna mi prega, perch’ io voglia
dire.

Und auch wir haben gedichtet:

Donne, che avete intelletto d’Amore,

So sind auch die Spanier
verfahren, und ich meine die Spanier, welche in der Volkssprache Oc
gedichtet haben. Amerigo de Belemi:

Nuls hom non pot complir adrectiamen.

Eine Stanze gibt es, in welche nur Ein
siebensylbiger Vers verwebt wird, und dies kann nirgend anders sein,
als wo die Stirn ist oder der Schweif, weil (wie gesagt ist) in den
Füßen und Volten Gleichheit der Verse uns Sylben beobachtet wird,
weshalb auch eine ungleiche Zahl von Versen nicht sein kann, als wo
Stirne oder Schweif nicht ist; aber wo diese sind oder eins von
beiden allein, darf man sich einer gleichen und ungleichen Zahl der
Verse bedienen nach Gefallen; und wie eine gewisse Stanze durch Einen
siebensylbigen Vers gebildet ist, so scheint sie auch aus zwei, drei,
vier, fünf dergleichen gebildet werden zu können, sofern nur im
Tragischen der elfsylbige überwiegt und den Anfang macht; dennoch
finden wir, daß Einige mit dem siebensylbigen tragisch angefangen
haben, nämlich Guido dei Ghisilieri und Fabricio, die Bolognesen:

Di fermo sofferire.
Und

Donna lo fermo cuore.
Und

Lo mio lontano gire.

und einige Andere. Aber wenn wir auf
deren Sinn genau eingehen wollen, so wird diese Tragödie nicht ohne
einigen Schatten von Elegie einherzuschreiten scheinen. Auch von dem
fünfsylbigen Verse geben wir dies nicht zu; in einem großen
Gedichte genügt es, daß ein einziger fünfsylbgier Vers in der
ganzen Stanze vorkomme, oder aufs Höchste zwei in den Füßen, und
ich sage in den Füßen wegen der Nothwendigkeit, mit welcher in den
Füßen und Volten gesungen wird: am wenigsten aber scheint der
dreisylbige Vers im Tragischen genommen werden zu dürfen, für sich
bestehend; und ich sage für sich bestehend, weil er vermöge eines
gewissen Wiederhalls der Reime häufig genommen zu sein scheint, wie
man in der Kanzone des Florentiners Guido finden kann:

Donna mi prega perch’ io voglia dire.

Und in der, welche wir gemacht haben:

Poscia che Amor del tutto m’ha
lasciato.

Und hier ist der Vers durchaus nicht
für sich, sondern nur ein Theil des elfsylbigen Verses, dem Reime
des vorhergehenden Verses wie Nachhall antwortend. Hieraus kannst du
denn, o Leser, hinlänglich abnehmen, wie die Stanze beschaffen sein
müsse; denn Beschaffenheit scheint man von den Versen nehmen zu
müssen, und dies ist nun hauptsächlich zu merken hinsichtlich der
Beschaffenheit der Verse, daß, wenn der siebensylbige Vers in den
ersten Fuß eingemischt wird, er dieselbe Stelle, welche er hier hat,
auch in dem zweiten einnimmt, nämlich wenn der dreimaßige Theil
einen ersten und letzten elfsylbigen Vers hat, und einen mittleren,
das heißt, zweiten, siebensylbigen, so muß auch der letzte
elfsylbige Verse und einen mittleren fünfsylbigen haben, sonst
könnte die Verdoppelung des Gesanges nicht geschehen, nach welchem
sich die Füße richten, wie gesagt ist, und folglich könnten es
nicht Füße sein, und was wir von den Füßen sagen, gilt auch von
den Volten, denn in nichts sehen wir, daß die Füße und die Volten
sich unterscheiden als nur in der Lage, weil die Füße vor, die
Volten nach der Theilung der Stanze genannt werden. Und wie mit dem
dreimaßigen Fuße, so erkläre ich, daß es auch mit allen andern zu
halten sei, und was von einem siebensylbigen Fuße, das sagen wir
auch von zweien, und von mehreren, und von dem fünfsylbigen und von
jedem andern.

Zum Beispiel lauten in der
angeführten Kanzone Poscia etc. der zweite und dritte Vers:

Non per mio grato,

Che stato non avea tanto giojoso,

wo also stato den antwortenden Nachhall
bildet.

Dreizehntes Kapitel.

Von dem Verhältniß der Reime, und in
welcher Ordnung sie in der Stanze zu stellen sind.

Auch dem Verhältniß der Reime wollen
wir uns widmen, nichts jedoch von dem Reim an sich gegenwärtig
abhandelnd; denn eine eigene Betrachtung derselben versparen wir auf
die Zukunft, wenn wir von dem mittleren Gedichte handeln. Im Anfange
dieses Kapitels scheint Einiges erschlossen werden zu müssen. Das
Eine ist die Stanze oder der Reim, in welcher keine Reime erfordert
werden, und Stanzen dieser Art gebrauchte am häufigsten Arnaldo
Daniello, wie dort:

Sem fos Amor de gioi donar.

Und wir:

Al poco giorno ed al gran cerchio
d’ombra.

Etwas Anderes ist die Stanze, deren
sämmtliche Verse denselben Reim haben, worin es natürlich
überflüssig ist, eine Regel zu suchen. So bleibt noch übrig, daß
wir nur bei den gemischten Reimen anhalten müssen; und zuerst ist zu
wissen, daß fast Alle hierin sich die weiteste Freiheit nehmen, und
hieraus entsteht hauptsächlich die Lieblichkeit des ganzen
Zusammenklangs. Denn es gibt Einige, welche nicht alle Ausgänge der
Verse in derselben Stanze reimen, sondern dieselben wiederholen oder
reimen in den andern, wie der Mantuaner Gotto, der seine vielen und
guten Kanzonen uns wörtlich bekannt gemacht hat. Dieser mischte in
der Stanze immer einen Vers ohne Begleitung ein und nannte diesen den
Schlüssel, und wie dies mit Einem erlaubt ist, ist es auch mit
zweien erlaubt, und vielleicht mit mehreren. Einige Andere gibt es,
und fast alle Erfinder von Kanzonen, welche keinen Vers in der Stanze
unbegleitet lassen, sodaß sie ihm nicht den Mitklang eines Reimes
geben, entweder Eines oder mehrerer, und zwar machen sie die Reime
derjenigen Verse, welche nach der Theilung stehen, verschieden von
den Reimen derjenigen, welche vor derselben sind; Einige aber machen
es nicht so, sondern weben die Ausgänge der vordern Stanze unter die
spätern Verse zurückbringend ein. Am häufigsten geschieht dies im
Ausgange des ersten der spätern Verse, welchen die Meisten reimen
mit dem Ausgange des letztern von den ersteren, was nichts Anderes zu
sein scheint, als eine gewisse schöne Verkettung der Stanze selbst.
In Rücksicht der Beschaffenheit der Reime, wie sie in der Stirn oder
im Schweif stehen, scheint jede gewünschte Freiheit gewährt werden
zu müssen; am schönsten aber sind die Ausgänge der letzten Verse,
wenn sie mit dem Reime schweigen; bei den Füßen ist dies aber zu
verhüten, und wir werden finden, daß eine gewisse Regel beobachtet
sei, und wir sagen dies, indem wir eine Sonderung machen, daß der
Fuß entweder in einem gleichen oder ungleichen Maß besteht, und in
beiden Fällen kann der Ausgang begleitet oder unbegleitet sein; denn
bei einem gleichen Maße zweifelt Niemand; wenn aber bei dem andern
Jemand zweifelhaft ist, so möge er sich an Das erinnern, was wir in
einem obigen Kapitel von dem Trisyllabus gesagt haben, wenn er als
Theil des elfsylbigen Verses wie ein Nachhall antwortet. Und wenn in
einem der beiden Füße der Ausgang reimlos bleibt, so muß er
durchaus in dem andern Fuß erneuert werden; wenn aber in dem einen
Fuß jeder Ausgang seine Reimgenossenschaft hat, so ist es erlaubt,
nach Belieben in dem andern die Ausgänge zu wiederholen oder neue zu
bringen, entweder durchaus oder theilweise, wenn nur die Ordnung der
vorangegangenen im Ganzen beobachtet wird, zum Beispiel, wenn die
äußersten Ausgänge eines Dreimaßes, das heißt, der erste und
letzte im ersten Fuße zusammenklingen, so müssen auch die äußersten
Ausgänge im zweiten zusammenklingen, und wie der mittlere Ausgang im
ersten Fuß sich darstellt als begleitet oder unbegleitet, so muß er
im zweiten wiedererstehen; und dasselbe ist bei andern Füßen zu
beobachten. Auch in den Volten haben wir fast immer dies Gesetz, und
wir sagen fast, weil es sich ereignet, daß wegen der vorherbemerkten
Verkettung und wegen der Verdoppelung der letzten Ausgänge bisweilen
die eben besagte Ordnung verändert wird. Ueberdies scheint es uns
sehr angemessen zu sein, Dasjenige, was man hinsichtlich der Reime
verhüten muß, diesem Kapitel anzufügen, da wir in diesem Buche
nichts weiter von der Reimlehre zu berühren denken. Drei Dinge sind
es also, welche in Absicht der Stellung der Reime Demjenigen, welcher
höfisch dichtet, zu thun misziemt, nämlich ein zu häufiger
Wiederhall desselben Reims, wenn er nicht etwa dadurch etwas Neues
und Unversuchtes von Kunst sich herausnimmt, wie der Tag des
entstehenden Kriegsdienstes, welcher ohne einen Verzug seine
Tageszeit vorübergehen zu lassen verschmäht; denn dies scheinen wir
zu thun dort:

Amor, tu vedi ben, che questa donna.

Das zweite aber ist die unnütze
Zweideutigkeit selbst, welche immer dem Sinne etwas zu entziehen
scheint, und das dritte die Rauhheit der Reime, wenn sie nicht etwa
mit Weichheit gemischt ist; denn durch eine Mischung von weichen und
harten Reimen wird selbst die Tragödie geschmückt. Und dies möge
von der Kunst, soweit sie die Beschaffenheit betrifft, genügen.
Nachdem wir nun Dasjenige, was die Kunst in der Kanzone betrifft,
hinlänglich abgehandelt haben, scheint jetzt das Dritte abgehandelt
werden zu müssen, nämlich die Zahl der Verse und der Sylben. Und
zuerst müssen wir etwas bemerken über die ganze Stanze und etwas
theilen, was wir nachher über die Theile derselben bemerken werden.
So ist es denn unser erstes Geschäft, eine Sonderung zu machen
zwischen Dem, was zu singen vorkommt, weil einige Stanzen scheinen
eine Gedehntheit zu begehren, einige nicht: sofern Alles, was wir
sagen, entweder rechts oder links zu singen ist, wie es sich
ereignet, bisweilen zuredend, bisweilen abmahnend, bisweilen
glückwünschend, bisweilen spottend, bisweilen lobend, bisweilen
tadelnd zu singen. Die Worte nun, welche nach links gehören, mögen
immer zum Ende sich beeilen, und andere mit zierender Gedehntheit
allmälig zum Schlusse gelangen.

Oder der Reim (sive rithimus) scheint
überflüssig.

Den sehr künstlichen Bau dieser
Kanzone oder Doppelsestine beschreibt Witte in der 2. Ausgabe der von
mir und ihm herausgegebenen „Dante Alighieri’s lyrische Gedichte,
Leipzig 1842“, im zweiten Theile, S. 108.

Caput XIV.

De numero carminum et syllabarum in
Stantia.

Ex quo quae sunt artis in Cantione
satis sufficienter tractavimus, nunc de tertio videtur esse
tractandum, videlicet de numero carminum et syllabarum. Et primo
secundum totam Stantiam videre oportet aliquid, et aliquid dividere,
quod postea secundum partes ejus videbimus. Nostra ergo primo refert
discretionem facere inter ea, quae canenda occurrunt, quia quaedam
Stantiae prolixitatem videntur appetere, quaedam non: cum ea quae
dicimus cuncta, vel circa dextrum aliquid vel sinistrum canamus, ut
quandoque persuasorie, quandoque dissuasorie, quandoque gratulanter,
quandoque ironice, quandoque laudabiliter, quandoque contentive
canere contingit. Quae circa sinistrum sunt verba, semper ad extremum
festinent, et alia decenti prolixitate passim veniant ad extremum …